Wenn man das Stehvermögen der Louise Rösler erwägen möchte, ihre künstlerische Arbeit auch gegen Widerstände durchzusetzen, dann genügt ein Blick auf ein Porträt im zweiten Stock: Bubikopf, forschende Augen, herausfordernder Blick, schwarzes schmales Kleid, Hände in den Hüften. Ein intellektuelles It-Girl. Im Jahr 1907 in einen Berliner Künstler-Haushalt hineingeboren, befand sie sich genau zur richtigen Zeit mittendrin in der bedeutendsten Kunstmetropole der Welt, und das waren nicht New York, nicht Paris, nicht London. Schülerin Hans Hofmanns, Karl Hofers, mehrjährige und sehr geliebte Studienaufenthalte in Paris u.a. bei Fernand Léger. Es bestand kein Zweifel an ihren künstlerischen Ambitionen, niemand hat ihn je geschürt. Und schon früh entdeckt sie ihr Sujet: Die Lichter der Großstadt, die schillernden Reklamen, den Zirkus, die Kaufhäuser, das Kino, das Faszinosum der kalten Wärme der Anonymität – die Menschen geraten ihr geradezu wie Halmafiguren auf dem buntsprühenden Spielbrett der Möglichkeiten, stumm, schattenhaft, klein.
Doch dann war die Zeit überhaupt nicht mehr richtig. Wie viele weitere Künstler*innen, die während des Nazi-Regimes in Deutschland blieben, bekam sie keine Ausstellungsmöglichkeiten mehr, keine Arbeitskontakte, nicht mal Papier. Ihr Mann Walter Kröhnke, ebenfalls Maler, wurde zur Wehrmacht eingezogen, das Atelier ausgebombt, sie mit ihrer kleinen Tochter nach Königstein gebracht. Hätte er nicht Fotos von ihren Bildern gemacht, wüsste man heute nicht um den tatsächlichen Umfang ihres Werkes. Und so ist es dem Museum Giersch mit der sehr tatkräftigen und großzügigen Unterstützung der Tochter Louise Röslers, Anka Kröhncke, zu verdanken, eine fast unbekannt Gebliebene dem Publikum vorzustellen. 160 Arbeiten aus allen Schaffensperioden sind nun in den Kabinetten ausgestellt.
Ihr Sujet freilich hat sie bis zu den letzten Werken begleitet, ob Collage, Gouachen, Tusche-, Bleistiftzeichnungen, Ölgemälde. Die frühen, stark im Expressionismus angelegten Bilder sind noch gegenständlich, greifen die flimmernde Metropole in starken Farben auf, Rot, Orange, Gelb, Blau, und in diesem Kontext sticht ein Gemälde besonders hervor: »Mein Pariser Zimmer« aus dem Jahr 1934, das in kunterbunten Strichen eine nahezu puppenstubenhafte, liebevolle Idylle entwirft, ein starker Kontrast zu den (vorerst) glatten und kulissenhaften Oberflächen der Berliner Häuserfronten.
Das Gegenständliche verliert sich bald und löst sich in schwingenden, miteinander verkapselten Flächen auf, Spitzen, Lanzen, getupfte Farbflächen, Bögen, der abstrakte Expressionismus gewinnt die Oberhand, auch bemerkt man die Einflüsse des Kubismus und die Rhythmik des Fauvismus. Zahlreiche Ausdrucksformen der künstlerischen Strömungen zwischen den beiden Weltkriegen inspirierten sie.
Und bald kommen die »objets trouvés« hinzu, Papierschnipsel, Glimmerstoff, kleine Perlen, Glitzersteinchen, winzige Plastiknäpfe, Tablettenblister, Zeitungsausschnitte fügt sie ihren gemalten Collagen hinzu, experimentiert mit Stoffen und Flächen, malt auf Holz und Pappe, setzt Teilchen aus Metallfolie ein. Diese flirrend-sinnlichen Collagen, die ihre Freude am Experiment verraten, haben nichts von der Farbigkeit verloren, die ihr gesamtes Werk beherrscht. Es wirkt gerade so, als würde sie Chaos in fest umrissene Formen bändigen, und das Ergebnis ist äußerst schillernd, formenreich und lebendig. Im Jahr 1959 kehrt Louise Rösler nach Berlin zurück, übersetzt erneut städtische Landschaften in ihre wilden sprühenden Szenerien, und auch der Mai 68 findet sich als Sujet wieder.
In Kühlungsborn hat Anka Kröhncke ein Museum für ihre künstlerische Familie eingerichtet, denn nicht nur ihre Eltern, auch ihre Großeltern waren Maler. Ein reicher Fundus also für weitere Erforschungen am Familienstammbaum.