Das Antlitz der DDR
Man kann es sich heute nur noch schwer vorstellen: Berlin geteilt. Im Westen pulsiert das Leben, im Osten herrscht die SED. Wer Kritik an Regierung und Sozialismus übt, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Wie jene Schüler des Abiturjahrgangs eines Gymnasiums in Stalinstadt, heute Eisenhüttenstadt. »Das schweigende Klassenzimmer« erzählt ihre »wahre Geschichte«.
Wir schreiben das Jahr 1956. Noch ist die Mauer nicht gebaut, aber in der S-Bahn, die zwischen Ost und West verkehrt, kontrollieren Uniformierte die Fahrgäste. Wer ein Gepäckstück dabei hat, ist der Republikflucht verdächtig und wird aus dem Zug geholt.
Theo (Leonhard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) kommen durch und sehen in einem West-Berliner Kino eine Wochenschau mit Aufnahmen vom Aufstand in Budapest. Daheim in Stalinstadt berichten sie ihren Klassenkameraden. Man müsse etwas unternehmen, heißt es, und plötzlich kommt der Vorschlag, zu Beginn des Geschichtsunterrichts eine Schweigeminute »in Angedenken der gefallenen ungarischen Genossen« abzuhalten.
Rektor Schwarz (Florian Lukas) will die Sache unter den Teppich kehren, aber ein linientreuer Parteigenosse aus dem Kollegium hat die Schweigeminute schon nach oben gemeldet. Die von den Schülern nachgelieferte Begründung, man habe des getöteten Fußballspielers Ferenc Puskás gedacht, erweist sich als besonders ungeschickt. Beweist sie doch, dass die Schüler im Radio einen verbotenen Westsender hören. Denn die Meldung von Puskás’ Tod ist eine Nachrichten-Ente. »Ihr habt euch als Freidenker zu erkennen gegeben. Ihr seid jetzt Staatsfeinde«, sagt Freigeist Edgar, den Michael Gwisdek mit Augenzwinkern gibt. Bei ihm können die jungen Leute nicht nur offen ihre Meinung sagen, sondern auch Westsender hören.
Volksbildungsminister Lange, großartig verbissen von Burghart Klaußner gespielt, nimmt die Sache persönlich in die Hand. Lange ist im Dritten Reich gefoltert worden und sieht jetzt in jedem Oppositionellen einen Nazi, der mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Auch mit dem der Denunziation, zu der vor allem die Väter, ob überzeugt oder zweifelnd, ihren Sohn zu ermutigen versuchen.
So werden die Schüler mit Stasi-Methoden erpresst, um sie zu Geständnissen zu zwingen. Schließlich reicht ein Schuldiger, ein Sündenbock, damit die Ordnung wieder hergestellt ist. Doch die Klasse wächst unter dem Druck zusammen, was die verantwortlichen Parteigenossen nicht für möglich gehalten haben. Für die Standhaften bleibt am Ende nur die Flucht in den Westen, wenn sie nicht im Knast landen wollen.
Konsequent wendet sich Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume gegen jede Romantisierung der DDR, die sich hin und wieder breitmacht. Aus der »wahren Begebenheit«, die Dietrich Garstka, einer der 19 Beteiligten von damals, in dem gleichnamigen Buch festgehalten hat, ist ihm ein packender Film gelungen, der die wahren Zustände in der DDR realistisch schildert. Die Frage, ob die DDR ein Unrechtsstaat war, kann man am Ende nur bejahen. Und einige haben Widerstand geleistet.