Das Staatstheater Darmstadt eröffnet die Saison mit Shakespeare

Ein Paukenschlag! Anders kann man die erste Premiere unter dem neuen Schauspielleiter Alexander Kohlmann und seinem Team kaum nennen. Die frisch zur Hausregisseurin gekürte Mizgîn Bilmen inszeniert »Macbeth«.
Was nun macht eine Frau aus diesem grausigen Stoff über einen Heerleiter, der im finsteren Mittelalter vermutlich tatsächlich lebte und nach seinen Königsmord quasi dem Blutrausch anheimfällt, mit seiner Lady, die ihn dazu anstachelt und vor allem, was macht sie mit den Hexen, die Shakespeare eine vor-zivilisatorische Institution sind, böse Wahrsagerinnen und üble Getränkebrauerinnen, und gleichzeitig emblematische Frauenfiguren der Theaterliteratur? Gibt es da eine feministische Sicht? Braucht es das überhaupt?
Die Hexen? Biedere Rentnerinnen in gedecktfarbiger Seniorenkleidung. Es sind nur zwei, die dritte ist ein Mann mit Honeckerhütchen. Sie treten als verspätete Zuschauer auf und zerren eine Reisetasche mit sich herum. Aber jetzt bloß nicht denken, das wäre platt, denn bei Mizgîn Bilmen ist überhaupt nichts platt. Sie sind zwar dem Zuschauerraum assoziiert, aber aus der Reisesporttasche klettert ein mit Springerstiefeln und einer ledernen Falkenhaube merkwürdig kostümiertes Kindmädchen, das fortan eine besondere Rolle spielen wird, und Wiebke Frost als Hexe versteht sich darauf, wunderbar sirrend zu singen. Nur wenige Akzente, aber sie rücken die Zuschauer*innen gleich in eine fremde Zeit, an einen fremden Ort- und doch gleich wieder zurück ins »Normale«. Später werden die Hexen als Chor fungieren, und, als Banquo (Marcus Hering) stirbt, die Pietá formen, dann wieder agieren sie – shakespeare-nah – als einflüsternde Demagoginnen. Bilmen interpretiert sie als Wegweiser*innen des Möglichen, des Machbaren. Und sie entstammen unserer Mitte, gewissermaßen.
Doch jetzt quert erst einmal ein blutüberströmter Bote die noch dunkle Bühne und berichtet von der Schlacht, die Macbeth gerade für seinen König Duncan geschlagen hat. Qual, Tod, Blut, Fremdheit und doch verwirrende Jetzt-Zeit – Bilmen, das kann man wohl sagen, fordert Mit-Denken und Sich-Einlassen.
Und schon hebt sich ein riesiger Spiegel empor und bleibt bedrohlich schräg über dem kahlen Bühnenboden hängen. Das Bühnenbild (Sabine Mäder), selbst Akteur, öffnet sich spiegelbildlich zu düsteren, lodernden Abgründen, die sich quer über die Bühne ziehen, mal Hölle, mal Grab, mal Jenseits. In diesem finsteren, leeren, von Stahlgerüsten begrenzten Rahmen entrollt sich das Geschehen, wobei die Zuschauer*innen auf der Hinterbühne sitzen und der tatsächliche Zuschauerraum zu ahnen ist – er wird später auch Bühne werden für das Gespräch zwischen dem geflüchteten Königssohn Malcolm und dem Heerführer Macduff.
In diesem Licht ist nicht definiert, wo man sich nun tatsächlich befindet. Schlachtfeld und Schloss versinken in den Worten der meist weit voneinander auf der Bühne platzierten Schauspieler*innen, ihre Worte müssen quasi die Kulissen malen. Lord Macbeth (Niklas Herzberg) ist bei Bilmen ein bulliger Krieger, die Lady eine schrille Punkgöre in Leder (Irina Wrona). Er glaubt der Hexenprophezeiung recht schnell, da zaudert nicht viel in ihm, und sie ist sowieso ziemlich krawallig aufgelegt, der Königsmord an Duncan rasch beschlossene Sache in einer choreographierten, nur angedeuteten – Sex-Gewalt-Dolch?-Szene. Der Spiegel zeigt jede Szene in doppelter Perspektive, gleichzeitig bleibt niemand unbeobachtet.
Poch, poch, poch, die Pfortenszene auf Macbeth‘ Schloss, als sich Duncans unwissender Sohn Malcolm mitsamt Macduff und Gefolgschaft nach dem Verbleib seines bereits hingemetzelten Vaters erkundigt, verlegt Bilmen ins Publikum. Lady Macbeth in rotglitzernder Kappe animiert es, als säße man beim Schlagerfestival. Irgendwie albern. Und doch passt sie, diese böse Verfremdung. Die Leute klatschen einfach lachend mit, obwohl sie grade eben erst einen Mord gesehen haben. Doch sobald jemand – irgendjemand – animiert, ei, da klatscht man doch mit, machen doch alle. Mit schönem Gruß aus der Giftkammer »Manipulation«. Eigentlich müsste uns das jetzt im Halse stecken bleiben, dieses blöde poch, poch, poch.
Die mordenden Lord und Lady Macbeth stürzen in den rotglühenden Graben, aus dem sich der eigentlich gemordete Duncan später herauswinden wird als wäre dies ein Jungbrunnen – der rätselhafte, ständig hinfallende alte König mit verzerrter Stimme ist der hübsche junge Nico Ehrenteit. Auch Banquo hat nicht vor, getötet zu bleiben oder nur noch im Wahn Macbeths zu existieren, mit goldglitzerndem Königs-Rock paradiert er mit dem Kindmädchen, das eigentlich Hekate ist, am Bühnenrand. Die ganzen Gesichter, der Wahn, dem Macbeth verfällt und auch seine Lady, sie sind sehr real, oder dann doch nicht?
Was Mizîn Bilmen großartig herausarbeitet, ist: der Wille zur Macht ist überlebensgroß, und wenn der eine tot ist, stirbt schon bald der nächste, und alle erstehen wieder auf, weil auch die Idee wieder aufersteht. Da darf dann auch schon mal die griechische Göttin der Todesschwelle als Kindmädchen auf die Bühne. Am Schluss steht Duncans Sohn Malcolm blutüberströmt an der Bühnenrampe, obwohl er doch das friedliche, ehrenvolle Königreich wieder etablieren sollte, die verkörperte Hoffnung auf ein Ende des Abschlachtens und Mordens. Sein Dialog mit dem ebenfalls ins Exil geflüchteten Heerführer Macduff ist überlebensgroß abgefilmt, überlebensgroß wie die Hoffnung. Aber auch er – sagt Bilmen – wird grausam sterben, er setzt nur die Reihe fort. Ein Macbeth ist nie genug. Das rätselhafte Kindmädchen/Hekate, die mit einer Gesichtsgummimaske die finalen Prophezeiungen gesprochen hat, steht jetzt in Springerstiefeln unter ihm und hat eine Kalaschnikow umgeschnallt. Aber die Szene versinkt im Dunkeln …
Wunderbar, wieviel an Denkstoff uns die Regisseurin da mit auf dem Heimweg gibt, und wunderbar auch die Schauspieler*innen. Stimmt das jetzt alles, was ich da gesehen habe, oder nicht?
Worauf hoffen? heißt der Arbeitstitel der Neuen Spielzeit. Mizîn Bilmen hat mit »Macbeth« den wohl grausamsten und blutrünstigsten Thriller Shakespeares als Antwort quasi kontrapunktisch inszeniert. Das Stück handelt von einem Zivilisationsbruch, aber noch regt sich das Gewissen, noch gibt es eine Ahnung der Protagonisten vom Schaden für die Gemeinschaft im Stück selbst. Im Zweifel, im Erkennen und im Scheitern. Doch das Unglück nimmt seinen Lauf.
»Hoffnung ist ein Mangel an Information« schrieb einmal Heiner Müller. Dieser Anfang hat es schon mal in sich.

Susanne Asal / Foto: © Staatstheater Darmstadt
Termine: 5., 10., 24. Oktober, 19.30 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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