Rache ist süß. Und würzt mitunter die schmackhaftesten Pastetchen. Jedenfalls in der herrlich abstrusen Geschichte, die Stephen Sondheims Musicalthriller »Sweeney Todd. Der dämonische Barbier der Fleetstreet« unter der Regie von K.D. Schmidt auf der Großen Bühne des Mainzer Staatstheaters in deutscher Fassung (Steiner/Hinze) erzählt. Und wie? Mit dem mitreißend spielenden großen Philaharmonischen Orchester des Hauses (Leitung: Samuel Hogarth) im oberen hinteren Bereich der Bühne, seinem gewaltig auftrumpfenden Chor und mit starken (Opern-)Stimmen aus dem Ensemble in einer grausig-gruseligen Menschenlandschaft (Kostüme Maren Geers). Zerrissene Netzstrümpfe, schwarze Umhänge, hochgetürmte Frisuren und pfundweise Kajal in den Gesichtern gäben einem tatsächlich das Gefühl, in einer gruftigen Afterparty der Leipziger Gothic-Messe gelandet zu sein, kündeten uns nicht die Glocken des Big Ben in Sondheims großer Musik davon, dass wir uns in einer der ärmlichsten Ecken Londons befinden.
Die Bühne (Thomas Drescher): minimalistisch, bestehend aus nichts als einem halben Dutzend stufig angelegter brüchiger Stege auf metallenen Stelzen und aus einer Projektionsfläche im Hintergrund, die die blutigste Musicalstory der Welt mit plakativen, beweglichen Zeichenbildern im Stil eines Comics oder einer Graphic Novel unterfüttert. Die spärlichen Requisiten: ein simpler Stuhl mit Armlehne und Kopfstütze, der seine Bestimmung durch die zweite Requisite erfährt, das im Scheinwerferlicht immer wieder gleisend aufblitzende Rasiermesser Sweeney Todds. Alles andere aus diesem einem Groschenroman des 19. Jahrhunderts entnommenen Schauermärchen findet in unseren animierten Köpfen statt. Ohne jeden Krümel Pastete! Und ohne einen Tropfen Theaterblut!!!
Wie Regisseur K.D. Schmidt das fertig bringt, ohne die Geschichte des einst so glücklichen Friseurs Barker zu verraten, der zum Serienkiller wird, weil ein Richter ihm gewaltsam die wunderschöne Frau und das gemeinsame Kind entriss, das behalten wir hier für uns. Zumal der nach 15 Jahren Strafkolonie verbitterte Heimkehrer unter falschem Namen sein Handwerk in den Dienst der geschäftstüchtigen Pastetenbäckerin Mrs. Lovett stellt. Fleisch, muss man wissen, ist ein ganz besonderes Gut.
Ein mörderisches Vergnügen wird uns da mit dem großartigen Bariton Derrick Ballard in seinem Zentrum serviert, mit der virtuosen mezzosopranen Verena Tönjes als Mrs Lovett, die das Publikum vom ersten Auftritt an in sein Herz schließt, und mit dem tränenrührenden Tenor von Collin André Schöning (Anthony) bei der Anbetung von Sweeneys in zartesten Farben blühender Tochter Johanna (Alexandra Samouilidou).
Der einzige Wermutstropfen vielleicht: Dass der Verzicht auf professionelles Musicalpersonal – dessen sich derzeit Darmstadt erfolgreich bedient – phasenweise zu Lasten einer leichteren Verständlichkeit dieser doch sehr verschachtelten vielschichtigen Erzählung geht und ein angespannteres Hinhören erfordert. Den Beifallssturm des Publikums haben gleichwohl alle Beteiligten verdient. Ein Geschenk zur rechten Zeit, das man tunlichst zuallererst sich selbst machen sollte.