Den falschen Mann erwischt?
Nur wenn man filmische Eleganz als Kriterium für einen eigenen Stil akzeptiert, kann man François Ozon zu den Autorenfilmern zählen. Thematisch lässt sich dieser französische Regisseur jedenfalls nicht festlegen. In »Frantz« machte er kürzlich tiefgründige Aussagen über die Liebe, in »Der andere Liebhaber«, seinem neuen Film, wandelt er mit einem Genre-Mix von Thriller, Liebes- und Horrorfilm auf David Cronenbergs Spuren.
Konsequent werden die schwarzen Haare der attraktiven Marine Vacth, die schon in Ozons »Jung & schön« die Hauptrolle spielte, bis zum Bubikopf abgeschnitten. Der Blick, den sie uns schließlich zuwirft, erinnert an ein Tier, das gejagt wird. Unnahbar wie ein Modell, so spielt Vacth die an rätselhaften Bauchschmerzen leidenden Chloé Fortin. Später wird sie wie ein Kunstwerk zwischen zwei Gemälden sitzen, die sie bewachen soll. Doch jetzt überrascht uns Ozon mit einer Überblendung vom Auge zur Vagina. Chloé ist bei einer Gynäkologin, die keinen körperlichen Defekt feststellen kann – mit der Psyche muss etwas nicht stimmen. Also landet Chloé bei dem Analytiker Paul Mayer (Jérémie Renier), einem durchaus ansehnlichen Mann, der gewissermaßen von Berufs wegen nicht vor ihr zurückweicht – und sie nicht vor ihm.
Mit der Psychotherapie in Spielfilmen ist das so eine Sache. Meistens stehen einem als Kinogänger die Haare zu Berge, weil die Darstellung oft mit der Realität nichts zu tun hat und eine misslungene Parodie zum schlichten Blödsinn verkommt. Nicht so hier, denn auch diese Klippe umschifft Ozon mit der Eleganz, die ihn auszeichnet. Am Verhalten des Therapeuten Paul gibt es nichts auszusetzen. Er hält sich zurück und wirkt verständnisvoll. Dass er ein attraktiver Mann ist, macht ihn auch für Chloé interessant. So verlieben sich beide ineinander, und Paul bricht die Therapie pflichtgemäß ab. Die therapeutische geht in eine amouröse Beziehung über.
Aber mit Paul scheint etwas nicht zu stimmen. Er hat den Nachnamen seiner Mutter angenommen, der ihm für seinen Beruf passender erschien. (Vielleicht, weil er mit seinem deutschen Klang an Freud erinnert?) Und als sie gemeinsam in eine Wohnung ziehen, entdeckt Chloé dass Paul einen Zwillingsbruder mit dem Namen Lois Delord hat – auch er wird von Jérémie Renier gespielt, auch er ist Psychoanalytiker. Aber einer von der harten Sorte. Ohne zu zögern, geht er auf Konfrontationskurs, bezichtigt Chloé der Lüge, behauptet aber, dass er ihr helfen könne. So beginnt Chloé hinter Pauls Rücken ihre zweite Therapie, die bald in eine wilde Vögelei mündet.
Da ist der Film längst zum Thriller geworden und die Therapie ein Hitchcock’scher MacGuffin. Eine immer misstrauischer werdende Frau zwischen zwei Männern. Eine Verdoppelung des klassischen Krimi-Motivs: Frau heiratet Mann und muss entdecken, dass sie nicht nur den falschen erwischt hat, sondern auch in große Gefahr geraten ist. Während Paul, von Chloé auf einen Zwillingsbruder angesprochen, sich als Einzelkind ausgibt, erzählt Lois Einzelheiten aus der Familiengeschichte der Delords. Auch Chloés Figur wird verdoppelt, durch eine Frau, die nach einer Affäre mit Lois gelähmt im Bett liegt und von ihrer Mutter gepflegt wird. Jacqueline Bisset spielt jene Mutter und auch die von Chloé.
Ozon treibt mit den Zuschauern ein lustvolles Verwirrspiel in hochstilisierten Bildern. Denn es drängt sich der Verdacht auf, dass der ganze Fall die aufwendige Inszenierung eines einzigen Mannes sein könnte. Oder ein psychischer Defekt der schönene Chloé? Am gruseligen Ende kommt es zur Krise: freundliche Masken fallen, und die blanke Bosheit zeigt sich. Aber eine Auflösung bleibt aus. Wer sie sucht, kann im Roman »Der Andere« von Joyce Carol Oates weiterforschen. Von ihm hat sich Ozon anregen lassen.