Eine Geburt der Fantasie, natürlich. Anton – bei der Premiere Friedrich Brückner, später alternierend auch Joshua Grölz –, ein zehnjähriger Junge, liest leidenschaftlich gerne Vampirromane. Und so kommt es, dass eines Abends, als die Eltern zum Tanzen ausgegangen sind, ein Vampir zum Fenster seines Zimmers hereinsteigt. Nach einem anfänglichen Erschrecken stellt der sich freundlich mit dem Namen Rüdiger vor, rasch werden die beiden Freunde. Als später Rüdigers Schwester Anna – Pina Scheidegger – ins Spiel kommt, entspinnt sich gar eine Romanze zwischen Anton und ihr. Nachdem freilich die Eltern Wind von alledem bekommen haben, geht es mit den Komplikationen los …
Wenn es um das saisonübliche Kinderstück zur Weihnachtszeit, das »Weihnachtsmärchen« geht, setzen die meisten Stadttheaterbühnen nach wie vor auf die Sicherheit bekannter Stoffe. Am Mainzer Staatstheater hat die Regisseurin Jule Kracht, seit 2021/22 Leiterin des Jungen Schauspiels am Landestheater im thüringischen Eisenach, den populären Kinderbuchklassiker »Der kleine Vampir« (1979 erschien der erste Band) von Angela Sommer-Bodenburg inszeniert, in der 1988 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg erstmals aufgeführten Fassung von Wolf-Dietrich Sprenger. Manche Theater warten fürs Weihnachtsstück mit einer Cinemascopedimension auf, der Grundraum von Nora Lau in Mainz hingegen ist ein – ungeachtet des lindfarbenen Dekors – karger Kleinfamilienkosmos um Jugendzimmer-Flur-Wohnküche; Theaterreize werden eher schon ausgespielt mit den für die Friedhofsszenen herabschwebenden Grabsteinen und der aus der Tiefe herauffahrenden Vampirfamiliengruft. Erstaunlich anachronistisch benutzt die von Lisa Mies gespielte Mutter ein Telefonbuch, gar ist der Fernseher ein hölzernes Möbelstück wie in den fünfziger und sechziger Jahren. Weshalb bloß?
Jule Kracht weiß, welche Register sie ziehen muss, um die Aufmerksamkeit der vor Beginn der Premiere mit einem unglaublichen Gewimmel heller Stimmen den Theatersaal erfüllenden Kinder auf eine vollständige Stille zu bannen. Eine wichtige Rolle dabei spielt nicht zuletzt Denis Larisch als vampirjagdbessener Friedhofswärter Geiermeier. Wie im Kasperletheater gibt der ganze Saal vereint Hinweise, wenn im Rücken des patronengurtgleich mit Knoblauch behangenen Vampirjägers die Vampire hinter den Grabsteinen hervorlugen.
Halb zumindest handelt es sich um ein Musical, dafür allerdings bleibt die Musik arg charakterlos. Eine Gebrauchsmusik, vergleichbar jenen Billigproduktionen, die im Kabarett gängig sind. Der e-gitarren-bretternde Alexander Müßig als Rüdigers Vampirbruder Lumpi ist bedauerlicherweise der einzige Live-Musiker. Die Inszenierung will die Kinder in erster Linie unterhalten, was sichtlich prächtig gelingt. Nicht mehr und nicht weniger. Für ein »Gruselstück« kann diese unbeschwerte, die Freundschaft feiernde Komödie im Übrigen nicht gelten.
»Der kleine Vampir« im Staatstheater Mainz