Der neue Roman des Stil-Künstlers Martin Mosebach: »Krass«

Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Es geht hoch her und heftig zu. Wir kommen weit herum. Es sind sprechende, teils schon brüllende Namen, mit denen Martin Mosebach versucht, auf den Spuren seines Lübecker Vorfahren, den Kurs des großen bürgerlichen Romans zu halten. Aber, bitte, alles ist ernst gemeint. Auch der prächtige Stil des Stilisten aus dem Frankfurter Westend. Hier wird nichts parodiert. Mosebach glaubt an die Welt, aus der er kommt. Und an den Glauben, der sie einst zusammenhielt.

Ralph Krass, erfolgreicher Geschäftsmann, Waffenhändler, großzügiger Machtmensch, hat eine illustre Gruppe um sich versammelt. Er zahlt, sie leisten ihm Gesellschaft. Für die Organisation und den reibungslosen Ablauf hat Krass einen arbeitslosen, aber promovierten Kunsthistoriker engagiert. Der reserviert für die achtköpfige Truppe die Hotels und Restaurants, organisiert Museumsbesuche und Besichtigungen von Immobilien und bezahlt alles in bar aus einem Aktenkoffer. Der Roman beginnt 1988 in Neapel. Dort trifft die Gruppe bei einer Show auf die Assistentin eines Zauberers, Lidewine Schoonemaker. Krass lädt sie ein, sich der Gruppe anzuschließen. Er übernimmt »eine verfügende Sorge für diese junge Dame«. Es geht ihm nicht um Sex, aber andere Männer soll sie auch nicht haben, das ist der Deal. Als sich Lidewine nicht daran hält, muss sie »das Hotel innerhalb einer Stunde verlassen, Kleider darf sie behalten, der Schmuck ist zurückzugeben«. Auch Lidewine zeigt Stärke, »keine Träne, kein Protest, kein Betteln um Gnade«.
Der zweite Teil beginnt ein Jahr später. Krass’ Panzergeschäfte mit den Ägyptern sind gescheitert, die Gruppe ist auseinandergefallen. Jüngel, verlassen von seiner Frau, ohne Geld, zieht sich in einen kleinen Ort in Südfrankreich zurück, wo er Tagebuch schreibt. »Dass jetzt die Geldnot mit der Liebesnot zusammenfiel, ließ mein Schicksal aussichtslos werden.« Er ist einsam und verzweifelt. »Das Glück wohnt dort, wo ich nicht bin.« Er lernt den liebenswerten Schuster des kleinen Ortes kennen. Dem war die Frau mit einem Arzt davongelaufen. Madame Lemoine, die sich um Jüngels kleines Häuschen kümmert, erzählt ihm eine makabre Geschichte, die sie mit ihren Wellensittichen erlebt hat. Das Männchen habe »seine Frau, nach jahrelangem Zusammenleben, umgebracht, mit abstoßender Grausamkeit. ›Er hat ihr die Hirnschale aufgehackt‹«. Für die Wellensittiche wiederum ist die gefräßige Katze gefährlich, die sie ständig belauert, indem sie um den Käfig herumstreicht. Die Tiere, ein Spiegel menschlichen Verhaltens. Es geht um Macht und Beherrschen, einen ständigen Kampf, aber auch um anschließende Versöhnung. »In den Krieg eines Paares mischt kein erfahrener Mensch sich ein, im Nu sind die beiden wieder versöhnt und erkennen im Dritten den gemeinsamen Feind als Basis des neuen Friedens.«
Der dritte Teil des Buches, zwanzig Jahre später, 2008, endet in Kairo. Hier schließt sich der Kreis. Schicksalhafte Begegnungen, sehr beliebt bei Mosebach, fügen sich wie gottgewollt, Mosaikstückchen gleich, zu einem Ganzen. Er scheut da keinen Aufwand. Die Schauplätze sind exquisit. Es ist aber auch Mosebachs Sprache, die das alles zusammenhält. Sein Stil, oft gelobt (Büchner-Preis), oft belächelt (sein allererster Roman »Westend« fiel bereits krachend durch), macht ihn nach wie vor zu einer Reizfigur.
In dem dritten Teil, dem Trauermarsch, natürlich »Marcia funebre« genannt, kommen die drei Hauptfiguren, durch wundersame Fügung, wieder zusammen.
Jüngel, inzwischen Professor für Urbanistik in Wuppertal und dankbar, dass auch er »aus dem verächtlichen Heer der Liebeskranken und Liebeskrüppel« hatte »austreten dürfen«. Er begegnet Lidewine in einem Hotel. Sie ist inzwischen Kunsthändlerin geworden und soll eine amerikanische Galerie eröffnen. Krass, verarmt und todkrank, versucht in Kairo noch einmal Kontakt zu seinen ehemaligen Geschäftspartnern aufzunehmen. Er begegnet dem Anwalt Mohammed. Der nennt ihn unerklärlicherweise »Vater«, kümmert sich geradezu rührend um ihn und bringt ihn schließlich in ein Krankenhaus. Krass, der auch jetzt nicht als Verlierer dastehen will, kam kurz vor seinem Tod »auf einmal der Gedanke, das Leben als Toter sei ebenfalls aushaltbar«. Wo Krass begraben wird, bleibt offen, vermutlich aber in Kairos Totenstadt. Dafür hat vermutlich dieser Mohammed gesorgt. Die Wege von Jüngel und der Frau Schoonemaker trennen sich nun wieder. Da liegen 525 Seiten hinter dem Leser. Ich habe sie, trotz allem, gerne, ja sehr gerne gelesen.

Sigrid Lüdke-Haertel (Foto: © Hagen Schnauss)
Martin Mosebach: »Krass«. Roman.
528 S., Rowohlt Verlag, Hamburg, 2021

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