»Der verschwundene Soldat« von Dani Rosenberg

Manchmal wirft ein Film einen geradezu prophetischen Blick auf die Situation in seinem Herkunftsland. So konnte der israelische Filmemacher Dani Rosenberg nichts von dem künftigen Überfall der Hamas und dem anschließenden Krieg im Gaza-Streifen wissen, als er seinen Film konzipierte und drehte. Aber die Situation zuvor bot schon genug Anlass für Probleme auf beiden Seiten, und das dürfte ihn zu dieser Geschichte über einen fahnenflüchtigen israelischen Soldaten inspiriert haben.

Man kann Rosenbergs Film als eine politische Parabel betrachten, er ist aber zuerst eine temporeiche Erzählung mit einem famosen Hauptdarsteller. Dieser Ido Tako verkörpert den 18-jährigen Infanteriesoldaten Shlomi Aharonov, der im Morgengrauen nach einem Kampfeinsatz im Gaza-Streifen seine Einheit verlässt.
Die kurze, aber eindrucksvolle Schilderung des nächtlichen Kampfgeschehens lässt auf ein Versagen seiner Nerven schließen, doch bald stellt sich heraus, dass Shlomi vor allem seine Freundin Shiri (Mika Reiss) treffen will. Er will sie noch einmal sehen, bevor sie nach Kanada auswandert, um dort zu studieren. Und vermutlich ist ungewiss, ob sie nach Israel zurückkehren wird.
Daraus folgt eine wilde Flucht, die bis zum Ende spannend bleibt. Shlomis erster Anlaufpunkt ist das Elternhaus auf dem Land, wo er allerdings nur den ihn freudig begrüßenden Hund der Familie vorfindet. Soldaten tauchen auf, und Shlomi rennt weg, greift sich ein Fahrrad und fährt sodann unerkannt in einem Militärbus mit. Tel Aviv ist sein Ziel.
Von der Großmutter (Tikva Dayan), die sich freut, ihren Enkel zu sehen, und ihn ermahnt, sich auszuruhen, läuft er in das Krankenhaus, in dem sein Vater (Shumlik Cohen) nach einem Herzinfarkt von seiner Mutter (beeindruckend Efrat Ben Tzur) betreut wird. Sie bittet ihren Sohn, der mittlerweile als von der Hamas entführt gilt, sich bei seiner Einheit zurückzumelden. Bis dahin deckt sie ihn, als sie von Offizieren befragt und vom Stand der Ermittlungen unterrichtet wird.
Doch wichtiger als die Verwandtschaft ist für Shlomi seine große Liebe Shiri, die in einem Lokal kellnert. Auch sie versucht, ihn zu beruhigen, ihn, der zudem noch von einem wohlhabenden Touristenpaar verfolgt wird, dem er Kleidung und Geld geklaut hat.
Während Shlomi von einer kniffligen Situation in die nächste gerät, verläuft um ihn herum das Leben in Tel Aviv in den üblichen Bahnen, weit entfernt vom Kriegsgeschehen. Interessant, dass ein Zivilist mit einem Gewehr über der Schulter niemandem auffällt, was als ein Zeichen für den (verdrängten) Ausnahmezustand des Landes angesehen werden kann.
Regisseur und Autor Dani Rosenberg schlägt aus dem Kontrast zwischen einer Bevölkerung, die von ihrer Jugend militärischen Schutz verlangt, und dem in eine schwere Krise geratenen Shlomi schwarzhumorige Funken. Seine Sympathie gilt der Hauptfigur, zumal er in seinem Kommentar zum Film verrät, dass er selbst während seiner Militärzeit einen kleinen Fluchtversuch unternommen hat, der zu seinem Glück nicht entdeckt wurde.
Shlomi verliert am Ende seine Unschuld. Rosenberg zerstört das Bild des naiven Träumers, »der von den Legenden der jüdischen Märchen geprägt ist«, wie er schreibt. Steht Shlomis Schicksal für eine drohende Zukunft Israels? Das wäre eine ziemlich düstere Deutung. Doch »Der verschwundene Soldat« ist für mehrere Interpretationen offen. Und gerade das macht seine Faszination aus.

Claus Wecker / Foto: © UCM

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Der verschwundene Soldat
(The Vanishing Soldier)
Drama von Dani Rosenberg, IL 2023, 98 Min., mit Ido Tako, Mika Reiss, Efrat Ben Tzur, Tikva Dayan, Shmulik Cohen, Yariv Horowitz
Start: 17.10.2024

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