Die Homosexuellenprozesse in Frankfurt – »Das Ende des Schweigens« von Van-Tien Hoang

Es hat mehr als hundert Jahre gedauert, bis sich die juristische Einstellung zur Homosexualität geändert hat. Von 1872 bis 1994 stellte der berühmt-berüchtigte § 175 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Was dies für die Homosexuellen speziell in Frankfurt in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete, das schildert in Interviews und nachgestellten Spielszenen der Film »Das Ende des Schweigens«.

Neben den Historikern, die einen profunden Einblick in die Nachkriegszeit geben, lebt der Film ganz besonders von den Erinnerungen eines betroffenen Zeitzeugen: Wolfgang Leopold Lauinger, der am 5. September 1918 in Zürich geboren wurde und am 20. Dezember 2017 in Frankfurt gestorben ist. Lauinger gehörte im Dritten Reich zur sogenannten Swing-Jugend, die gegen die Nazis u.a. mit dem Swing-Tanz opponierte, und wurde wegen seine Homosexualität und seines jüdischen Vaters verfolgt.
Die amerikanische Besatzung zeigte sich nach dem Krieg tolerant und befreite kurzerhand alle inhaftierten Schwulen aus den Gefängnissen und Lagern. Doch die deutsche Justiz ließ nicht locker. Das Hauptargument der Hardliner – einige von ihnen waren bereits in der Nazizeit aktiv – war, dass Jugendliche durch Homosexuelle verführt würden.
1950 wurde Lauinger aufgrund der Aussage des Strichjungen Otto Blankenstein wegen des Verdachts auf Verstoß gegen den § 175 erneut verhaftet. Er saß für sechs Monate ohne Anklage in Einzelhaft, aus der er sich an seinen Vater und den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss erfolglos wandte. Obwohl er ein Opfer des Naziregimes war, bekam er keine Hilfe, bis er im Februar 1951 endlich freigesprochen wurde.
Durch ein bei dem verhafteten Otto Blankenstein gefundenes Notizbuch mit den Namen seiner Kunden kam nicht nur Lauinger in Bedrängnis. Es betraf insgesamt 240 Männer, von denen 100 verhaftet und 75 angeklagt wurden. Ein Großteil von ihnen erhielt Strafen von drei zu 15 Monaten und somit die gesellschaftliche Ächtung.
Der Film zeichnet ein differenziertes Bild von Frankfurt. Es gab in den 50er Jahren gewisse Freiräume, auch einschlägige Lokale, was allgemein bekannt war. (Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man von Nachbarn mit »Männerbesuchen« sagte, sie seien wohl »vom anderen Ufer«, und selbstverständlich weiterhin mit ihnen sprach.) Ein Historiker meint auch, Frankfurt sei die Homosexuellen-Hauptstadt in Deutschland gewesen. Auf der anderen Seite machten Polizei-trupps abends Jagd auf verdächtige Männer an Schwulentreffs und prügelten wahllos auf Anwesende ein. So geschehen im »Nizza«, einer Parkanlage am Main, in der tagsüber Familien spazieren gingen.
Um den Zuschauern ein einprägsameres Bild der Zeit zu geben, wurden Szenen von damals nachgespielt. Sie mögen mal mehr, mal weniger gelungen sein, verdienstvoll ist jedenfalls, dass der Film an die seinerzeit spektakulären und heute vergessenen Frankfurter Homosexuellenprozesse von 1950/51 erinnert und einem der Hauptbetroffenen, der nie finanziell entschädigt wurde, ein überfälliges Denkmal setzt.

Tom Zwicker (Foto: Fotos: © GM films)

DAS ENDE DES SCHWEIGENS
von Van-Tien Hoang, D 2020, 79 Min.
Dokumentarfilm mit Spielszenen
Start: 02.12.2021

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