Die Navajo-Police-Romane von Tony Hillerman werden neu aufgelegt

Von allen Auszeichnungen, die er je erhielt, war die als »Special Friend of the Diné«, die Tony Hillerman 1987 vom Navajo Tribal Council erhielt, die wichtigste. Er hatte bis dahin sieben Romane geschrieben – Kriminalromane, genauer gesagt –, alle im Navajo-Reservat in der »Four Corners«-Region von Arizona, Utah, Colorado und New Mexico angesiedelt und mit indianischen Polizisten in der Hauptrolle: Lieutenant Joe Leaphorn und Officer Jim Chee ermitteln für die Navajo-Polizei. Die Traditionen und Bräuche des indigenen Volkes, das sich selbst Diné nennt und mit rund 332.000 Stammesangehörigen das zweitgrößte der indianischen Völker in den Vereinigten Staaten ist, bilden in diesen Büchern »nicht nur Kulisse, sondern sind von zentraler Bedeutung bei der erzählerischen Gestaltung der Fälle und ihrer Auflösung«, bringt es der Kritiker Joachim Feldmann auf den Punkt.

18 Fälle für die Navajo-Police wurden es zwischen 1970 und 2006. Es ist eine der großen Serien der Kriminalliteratur, und die gute Nachricht ist: Die Bücher werden jetzt im Zürcher Unionsverlag neu aufgelegt und wieder zugänglich gemacht. Zwei der Bände sind bereits erschienen: »Tanzplatz der Toten« (Dance Hall of the Dead, 1973, auch einst als »Schüsse aus der Steinzeit« auf dem Markt) und »Blinde Augen« (Listening Woman, 1978). Weitere folgen in monatlichem Abstand.

1970, als der erste dieser Navajo-Kriminalromane erschien, war es natürlich eine andere Welt. Heute würde ein solcher Roman, von einem Weißen geschrieben, automatisch unter den Generalverdacht der kulturellen Aneignung gestellt, wäre Shitstorm oder gar Einstampfen wahrscheinlich. Umso verdienstvoller, dass ausgerechnet der Unionsverlag nun den Autor Tony Hillerman unter seine Fittiche nimmt, ist dieser tatsächlich allen Literaturen der Welt gewidmete Verlag des Kulturchauvinismus gewiss gänzlich unverdächtig.

Der Blick auf Tony Hillerman zeigt zudem, dass Pauschalurteile wenig taugen, dass näheres Hinschauen lohnt. So, wie uns Daniel Defoes im Jahr 1719, also vor 300 Jahren erschienener Diskurs zwischen dem gestrandeten »weißen« Robinson und dem »wilden« Freitag immer noch Spiegel ist, so unsinnig wäre es zum Beispiel, die 29 australischen Romane mit dem Halbblut Napoleon »Bony« Bonaparte zu verdammen. Der Engländer Arthur W. Upfield war mit seinen zwischen 1928 und 1966 erschienenen Romanen mit dem Buschpolizisten Bony, halb Europäer, halb Aborigine, ein Vorbild für Tony Hillerman.

Der – ja, ein weißer Amerikaner – wuchs bettelarm im hintersten Oklahoma auf, die nächste Schule ein indianisches Mädchen-Internat. Er dann dort einer der wenigen Jungs. »Growing up Indian«, nannte Hillerman seine Kindheit, »wir hatten kein ›Wir‹ und ›Die‹« (»We did not have an ›us and them‹«). Aus dem Zweiten Weltkrieg kam er mit dem »Bronze« und dem »Silver Star« und einem »Purple Heart« zurück, wurde Journalist, war auch Polizeireporter. Und dann begann er über die Welt, die er kannte, zu schreiben. »Land mit Raum und Zeit genug« nennen die Diné das ihnen von den Weißen zugewiesene Reservat, so groß wie die Schweiz oder die Niederlande, hauptsächlich Wüste, mittendrin die Tafelberge der Hopis. Und noch ikonischer: das Monument Valley, wo der beste Aussichtspunkt nach einem Filmregisseur benannt ist, der dort neun Western drehte: John Ford Point.

In diese in tausenden Filmen bereits durchdeklinierte Landschaft also setzt Tony Hillerman seine Romane. Und er macht daraus etwas, was nur die allerwenigsten Western wirklich unternahmen: nämlich einen Dialog der Kulturen. Sein Blick ist der eines Weißen, der die Roten kennt, fast selbst einer ist. Seine Hauptfigur Joe Leaphorn ist ein Roter, der die Weißen kennt, aber nie einer werden könnte, selbst wenn er es wollte. Hillermans Urbild für den Indianer-Cop Joe Leaphorn war ein alter Sheriff in Hutchinson County, Texas, den er bei seinem ersten Job als Polizeireporter kennenlernte, »einen feinen Kerl, der eine ganz eigene Art hatte, über Dinge nachzudenken«, so Hillerman selbst. Leaphorn wurde für ihn auch »zu einer Art Spiegelung von mir, er gehört meiner Generation an und teilt viele meiner Einstellungen«. Ein Weißer also blickt auf einen Navajo, der auf Weiße blickt, auf deren und seine eigene Kultur. Je mehr Hillerman von und mit Joe Leaphorn erzählte, desto mehr stieß er aber auch an Grenzen.

Hillerman dazu selbst: »Ich merkte, dass Joe mich in mancher Hinsicht einschränkte. Er war schon in fortgeschrittenem Alter, eher intellektuell und gebildet. Die Kultur der Weißen war ihm vertraut. Nicht, dass er sie besonders schätzte, aber nichts daran schien ihn mehr zu überraschen, er begegnete ihr nicht mehr mit Neugier. – Ich brauchte also einen jungen Ermittler, der schärfer und neugieriger auf die Kultur der Weißen reagieren und das Thema Assimilation neu ausleuchten konnte. Also schuf ich die Figur des Jim Chee, auch er ein Navajo, aber jünger, weniger assimiliert, weniger akademisch und versiert. Ein bestimmtes Vorbild für ihn gab es nicht. Ich lehrte damals an der University of New Mexico und erlebte all diese jungen, brillanten Studenten mit ihren klaren, entschiedenen Meinungen über alles und jedes. Nach ihrem Muster brachte ich ihn ins Spiel, um den Romanen zusätzliche Facetten zu geben. Das Spannungsverhältnis zwischen dem älteren, eher angepassten Cop und dem Neuling, der tief in seiner Kultur verwurzelt ist und sie nicht aufgeben will, schien mir fruchtbar und nötig. Mit der Zeit, von Band zu Band, wuchs dann auch der gegenseitige Respekt der beiden füreinander.«

In Hillermans Romanen zeigt sich der Konflikt zwischen der modernen Industrie- und Konsumgesellschaft und den traditionellen Werten und Bräuchen der amerikanischen Indianer. Nur mit Bezug auf die Überlieferungen der Diné sind die Kriminalfälle zu enträtseln. Auch die intensive Schilderung von Jahreszeiten, Wetter und Landschaften des Diné-Territoriums ist mehr als bloß exotische Kulisse, vor der sich die Handlung entfaltet (wie in vielen Western). Die Natur selbst ist immer Teil der Geschichte. Es ist wichtig, wie der Wind bläst, welche Tageszeit herrscht, wie das Licht fällt, wie die Wolkenformationen aussehen, was man riecht und ob und wie heiß es ist. »Ich wollte immer«, so Hillerman, »dass man beim Lesen auch die Weite, die Größe und die Leere dieser Landschaften spürt. Nur so hat die Story den Raum, um sich zu entfalten. Ich liebe diese Gebirge des South West, diese trockenen Hochebenen. Den Navajo sind sie heilig. Darum nimmt diese Region auch so viel Platz ein in meinen Romanen.«

Schön, dass es diese Romane nun wieder gibt. Sie sind kein bisschen verstaubt. Mir machen sie immer noch Gänsehaut.

Und wir haben noch Platz für eine von Hillerman gern erzählte Anekdote. 1971 erhielt das Navajo Tribal Office in Window Rock, Arizona, einen Anruf von der NASA. Man bereite die Apollo-15-Mission vor und wollte die Astronauten Irwin und Scott einer möglich realistischen Umgebung aussetzen. Ob man denn nicht im Reservat eine Art Test durchführen könne? Klar, gerne. Und dann hoppelten also zwei Gestalten in Weltraumanzügen und Moon Boots durch die Wüste. Ein Navajo-Ältester, ein Medizinmann, sah sie und wollte wissen, was da vorgehe. »Diese Männer fliegen nächsten Monat auf den Mond. Sie proben bei uns die Landung«, sagte man ihm. »Hm, auf den Mond … «, sinnierte er. »In unseren Legenden sind wir auch immer auf den Mond gereist, auf dem Weg zur Sonne. Aber ohne solch eine Ausrüstung, nur mit dem Geist. Wer weiß, vielleicht ist noch einer der Unseren dort oben. Ich würde den Männern gern eine Nachricht mitgeben.» Durfte er. »Wenn wir dort oben einem Navajo begegnen, übergeben wir ihm den Brief.« Nur, kleines Problem, die Diné haben keine Schriftsprache. »Dann soll er doch seine Nachricht auf Band sprechen.« Gesagt, getan. Der Medizinmann sprach auf Band. – Natürlich wollte man in Houston wissen, was er da gesagt hatte. Nicht alle konnten bei der Übersetzung lachen: »Wenn diese zwei seltsamen Gestalten mit euch einen Vertrag schließen wollen, unterschreibt nichts!«

Alf Mayer / Foto Tony Hillerman: © Estate of Tony Hillerman
Tony Hillerman: Tanzplatz der Toten.
Ein Fall für die Navajo-Polizei.
Aus dem Englischen von Helmut Eilers. Unionsverlag, Zürich 2023. 224 Seiten, 14 Euro.
Tony Hillerman: Blinde Augen.
Aus dem Englischen von Friedrich A. Hofschuster. Mit einem Nachwort von Claus Biegert. Unionsverlag, Zürich 2023. 256 Seiten, 14 Euro.
Im Lauf des Jahres erscheinen:
Dunkle Winde
Zeugen der Nacht
Stunde der Skinwalker
Gesang an die Geister
Dieb der Zeit
Mord und Gelächter
Coyote wartet
Erster Adler
Sturz in den Canyon
Klagender Wind
Jagd ohne Beute
Knochenmann
Geheime Kanäle

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert