Ganz nah bei uns
In Asghar Farhadis Meisterwerk »Le passé – Das Vergangene« hat sie eine – um es höflich zu sagen – schwierige und oftmals überforderte Frau gespielt. So überzeugend, dass sie in Cannes den Preis für die beste Darstellerin gewann. Jetzt ist Bérénice Bejo in einer ähnlichen Rolle zu erleben, als eine Frau, die ihren Noch-Ehemann auf Distanz halten will. Man könnte den neuen Film auch als eine mögliche Vorgeschichte zu dem Farhadi-Film verstehen.
»Die Ökonomie der Liebe« handelt von einer Beziehung, in der die gegenseitige Verliebtheit erloschen ist. Die Ehe von Marie und Boris (Cédric Kahn) ist nach 15 Jahren an einem Tiefpunkt angelangt, sie wollen sich trennen, oder vielleicht doch nicht? Zumindest haben sie es einmal beschlossen. Früher habe man einen Kühlschrank, der kaputtgegangen ist, reparieren lassen, heute werfe man ihn weg, bemerkt Maries Mutter (Marthe Keller).
Von Verliebtheit ist hier die Rede, nicht von Liebe. Denn wenn man verliebt ist, ist man geblendet. Man sieht nur das, was man sehen will. Wenn man liebt, sieht man auch die Fehler beim anderen, man kann verzeihen, und manchmal gelingt es sogar, die Fehler zu lieben. Dostojewski hat einmal geschrieben, eigentlich müsse man einen Menschen mehr lieben, wenn man ihn länger kenne. Bei Marie und Boris (und nicht nur bei ihnen) ist das Gegenteil der Fall. Bei ihnen ist die Verliebtheit nicht in (dauerhafte) Liebe übergegangen.
Dass sich Boris keine eigene Wohnung leisten kann, verstärkt die Konflikte. Sie könnten Abstand gebrauchen, was der Film in seinen breitformatigen Bildern immer wieder andeutet.
Auch die Kinder können ihnen nicht helfen. Wenn ihr Vater vor der verabredeten Zeit nach Hause kommt, stürzen sich die kleinen Zwillingsschwestern auf ihn – zum Verdruss der Mutter. Wenn sie Freunde eingeladen hat, lässt sich Boris von ihnen ein Glas Wein anbieten und setzt sich – sehr zum Missfallen seiner Frau – mit an den Tisch. Jede Handlung gerät zur Provokation.
Ihr Haus, das übrigens auch an das Haus in »Le passé« erinnert, ist von Maries Geld gekauft und von Boris renoviert worden. Wieviel ist seine Arbeit wert? Auch darüber gibt es Streit, weil Boris mehr Geld verlangt, als Marie ihm geben will. »Geld ist zwar ein Zankapfel, aber dahinter steckt immer die Frage, inwiefern man Anerkennung erhält oder nicht, ob man Bestätigung für das sucht, was man tut oder nicht getan hat«, erklärt Regisseur Joachim Lafosse den Titel des Films. Er hat das Drehbuch zusammen mit zwei Frauen, Mazarine Pingeot und Fanny Burdino, und mit Thomas van Zuylen geschrieben. Und die vier verschiedenen Blickwinkel haben dem Film gutgetan.
Das Schlachtfeld Ehe wird weniger aufgeregt geschildert als etwa in den berühmten »Szenen einer Ehe« des großen Ingmar Bergman, aber nicht weniger konsequent. Ganz nah ist der Film an manchen Problemen von uns allen, die wir hoffentlich lösen können, bevor es zum bitteren Ende kommt.