An den Anblick einer vollverschleierten Autofahrerin muss man sich erst einmal gewöhnen. Hierzulande undenkbar, denn geblitzt dürfte ihr ein Vergehen im Straßenverkehr nicht nachzuweisen sein. Aber dass zu Beginn des neuen Films von Haifaa Al Mansour so eine Autofahrerin zu sehen ist, steht schon für einen gewissen Fortschritt in Saudi-Arabien.
Es ist nämlich nicht allzu lange her, dass Frauen in Saudi-Arabien das Autofahren untersagt war. Dies war noch der Fall, als »Das Mädchen Wadjda«, der unvergessene Spielfilm-Erstling der Regisseurin, im Jahr 2013 auf dem Filmfest München lief und kurz darauf in den hiesigen Kinos zu einem Zuschauererfolg wurde. Da musste die kleine Wadjda um ein grünes Fahrrad kämpfen, das sie unbedingt haben wollte. Verboten war dem Kind das Fahrradfahren nicht, aber gern gesehen wurde es gerade auch nicht.
Nahe an den Verboten entlang zu schrammen und sie hier und da zu überschreiten, darauf beruht auch die Geschichte, die Haifaa Al Mansour jetzt erzählt. Hauptfigur ist eine Frau, die als »stark« und »mutig« bezeichnet werden kann. Während in »Wadjda« noch ein Gegensatz zwischen unbefangenen Kindern und indoktrinierten Erwachsenen gezeigt wurde, konzentriert sich Al Mansours neuer Film auf die Frauenrechte in Saudi-Arabien und deren Akzeptanz bei den Männern.
Die Männer, die für das Krankenhaus in dem kleinen Ort zuständig sind, an dem die Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) beschäftigt ist, scheinen unfähig zu sein, etwas gegen die unzumutbaren Zustände vor der Klinik zu unternehmen. Allein Maryam beschwert sich ständig darüber, dass jede Notaufnahme zu einem gefährlichen Hindernisrennen durch Schlammlöcher gerät. Die Chance, sich für eine asphaltierte Straße einzusetzen, erhält sie nur durch Zufall oder, wenn man so will, durch die Ironie des Drehbuchs, das Al Mansour und mit Brad Niemann verfasst hat.
Maryam möchte nämlich zu einem Ärztekongress nach Dubai fliegen, bekommt aber am Flughafen keine Bordkarte, weil die Zustimmung ihres Vaters in ihrem Pass abgelaufen ist. Der verwitwete Vater, Vormund seiner unverheirateten Tochter, ist unterwegs und kann deshalb nicht unterschreiben. Bei einem entfernten Cousin in der staatlichen Verwaltung will sie sich nun die nötige Einwilligung holen. Doch dort werden gerade nur Bewerber für die nahende Kommunalwahl vorgelassen. Also trägt sie sich in die Kandidatenliste ein, und statt der Konferenz in Dubai steht jetzt Kommunalwahl in Saudi-Arabien auf ihrem Programm.
Diesen Wahlkampf nimmt der Film zum Anlass, ein Bild von der männerdominierten Gesellschaft des Landes zu zeichnen. Da ist beispielsweise ihr Auftritt vor einer Versammlung von Männern nicht gestattet. Also fertigt ihre Schwester Selma, eine Hochzeitsfotografin, die von der Influencerin Dhay gespielt wird, ein Wahlkampfvideo an. Dass Maryam in der Hitze des Gefechts dann doch einmal bei den Männern aufkreuzt, gehört zu den Überschreitungen, von denen schon die Rede war.
Die Männer reagieren skeptisch bis ablehnend auf Maryams Kandidatur und ihre Forderung nach einer asphaltierten Zufahrt zu der Klinik. Reaktionen, die sie schon von Krankenhauskollegen und -patienten kennt, die sie im Grunde nicht für voll nehmen. Als Identifikationsfigur für uns westliche, männliche Zuschauer fungiert der verständnisvolle Vater Abdulaziz (Khalid Abdulrahim), der als Berufsmusiker um Anerkennung kämpft, bislang aber nur auf Hochzeiten spielen darf.
Bei einer Hochzeitsfeier wird das System der Geschlechtertrennung in Saudi-Arabien besonders deutlich. Richtig ausgelassen feiern eigentlich nur die Frauen unter sich. Wenn ein Mann in den Raum kommt, ertönt eine Warnung, und sie müssen sich verhüllen. So wirkt der Bräutigam, ohne den die Veranstaltung ja unvollständig wäre, wie ein Fremdkörper, der auch entsprechend verschüchtert wirkt. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis scheint auf den Kopf gestellt.
Neben dem Einblick in eine fremde Welt bietet »Die perfekte Kandidatin« vor allem eine mitreißende Geschichte vom Kampf um Anerkennung. Wenn am Ende ein Patient, der es abgelehnt hat, sich von Maryam behandeln zu lassen, sich bei ihr bedankt, dass sie ihm das Leben gerettet hat, und gesteht, dass er sie gewählt hat, ist das ein bisschen dick aufgetragen. Aber die Botschaft ist gut verpackt. Die fremde Frau im Nikab ist am Ende eine Bekannte von uns geworden