Dracula am Schauspiel Frankfurt – ein Gespräch mit der Regisseurin Johanna Wehner

Dracula, das ist ja nicht der einfachste Stoff, den man sich so für die Bühne einfallen lassen kann – obwohl, eigentlich doch, ein aus Mythen und Legenden gewebter hochdramatischer vielstimmiger Text mit einem klaren Gut und einem klaren Böse; daraus könnte man auch ein Musical basteln oder irgendwas halbwegs Witziges zu Corona. Also so könnte man es machen.
Dracula als Supervirus, fällt dazu Johanna Wehner ein. Aber das ist natürlich alles andere als ihr Ding, die so hochsensibel »Hiob« von Joseph Roth fürs Schauspiel inszeniert hat. Der popkulturelle Bezug interessiert sie rein gar nicht, also wird wohl kein Musical draus werden, wobei die Schauspielcrew u.a. Caroline Dietrich, Heidi Ecks und Matthias Redlhammer, das mit Sicherheit auch gut rüberbringen würde.
Die Figur des Dracula geisterte in ihrem Kopf, seit sie im Literaturstudium auf die Welt der Phantasten gestoßen ist, auf E.T.A. Hoffmann natürlich, und eben auch auf Bram Stoker. Und auch in diesem Buch – wie in Hiob – ist es das Fehlen einer faktischen, auktorial erzählte Wahrheit, sondern die Vielschichtigkeit der Stimmen, die den Roman konstruieren, die Tagebuchnotizen, die Briefe, die Zeitungsartikel, das Fragmentarische, über die man »eine eigene Geometrie bauen kann«.
Sie gräbt unter die Oberfläche des Textes und findet: Oberfläche. Eine oberflächliche Gesellschaft, die sich nicht darum kümmert, wen sie ausschließt, aber ausschließt. Die Bezüge zur Zeit, zum gesellschaftlichen Kontext, der sie umgibt, sind gelegt. Johanna Wehner nimmt »Dracula« zum Anlass zu fragen, wie begründen sich gesellschaftliche Systeme, wenn es ein Feindbild – Dracula – gibt, auf das sich alle einigen können? Wie entsteht ein Mob? Unter dem Arzt van Helsing formiert sich ja quasi ein Verfolgertrupp. Funktioniert er nicht nach der Maßgabe: Wir haben keine Beweise, aber wir brauchen auch nichts zu beweisen? Wir sind die Vollstrecker, wir müssen jetzt die Welt vor dem wahren Übel retten. Wenn man solche Fragen hört, sagt Johanna Wehner, dann wird einem ganz anders zumute.
»Und dann auf einmal gibt es Risse im System, und man verliert die Kontrolle und plötzlich ist alles gar nicht mehr so schön, irgendwelche Verlobte rennen jetzt lasziv kinderbeißend über irgendwelche Friedhöfe. Ach Mensch, was sind wir happy, eigentlich. Aber da kommt einer, der unserer menschlichen Spezies überlegen ist, und das geht natürlich nicht. Dracula ist überlegen, so wird er ja geschildert, dass er so kräftig ist und stark. Und klar, was im Abgrund brodelt, ist immer überlegen, was da im Unterbewussten lagert, ist immer stärker.« Und so wird Dracula auf ihrer Bühne auch zu einer Metapher von Schuld, die immer dort entsteht, wo jemand ausgeschlossen (verfolgt?) wird.
»Auch habe ich mich damit beschäftigt, was Dracula eigentlich ist. Er lebt ja ausschließlich von der Stofflichkeit der Menschen, ein aus Menschenstoff gebaute dunkle Masse. Ist Dracula denn eine Figur, die eigenständig das Böse in die Welt bringt? Oder doch eher nicht? Eigentlich ist da doch eine Gesellschaft, die sich ihren Abgrund selber liefert.«
»Und da wurde mir klar, dass das gar kein Stück über Dracula wird, sondern über eine marode Gesellschaft. Da wo die Risse sind, da wo der Wind durchpfeift, da wo das Fundament bricht, das ist Dracula.« Sagt die Preisträgerin des deutschen Theaterpreises Faust.
Wie sich ihre verblüffende Ideenfülle auf der Bühne materialisiert, ist vom 27.10. an im Schauspiel Frankfurt an zu sehen.

Susanne Asal / Foto: Johanna Wehner, © Birgit Hupfeld

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