Das Theater Landungsbrücken präsentiert Hermann Hesses »Demian« als einfühlsamen Monolog

Was würden wir wohl heute von Emil Sinclair halten? Ihn für einen Schwärmer halten, aber eben auch als einen erkennen, der sich nicht einrichten mag, in dem, was er vorfindet, weil er sich jedes Weiter-so verbietet und nur noch als Katastrophe vorstellen kann. Damit sind wir doch schon ziemlich nah dran beim Erkunden, was es macht, dass die Geschichte dieses Getriebenen uns auch heute noch interessiert. Hermann Hesse hat den in acht Kapiteln verfassten Roman »Demian« mit deutlichen autobiografischen Zügen im ersten Weltkrieg 1916/17 geschrieben und 1919 unter dem Namen des Protagonisten veröffentlicht. Ein Jahr später erst, enttarnt, gab er die Autorenschaft zu.
»Die Geschichte einer Jugend« schildert aus der Ich-Perspektive eine sich Stufe für Stufe vollziehende Selbstfindung aus den Zwängen der Konvention in das Erwachsensein. Aus einem verschüchterten zehnjährigen Schulbuben, der sich von einem rüden Gassenjungen ausnutzen und peinigen lässt und sich aus dem Kokon der Familie windet, wird auf windigen Wegen ein seine Erfüllung in einem neuen Glauben (Abraxas) und in der Begegnung mit einer Frau findender Mann. Alleine schafft Emil das nicht. Mehr Guru oder Alter Ego als Freund taucht sein frühweiser Mitschüler Max Demian wie ein Rettungsengel immer wieder an den entscheidenden Bruchstellen seines Lebens auf und zieht mit ihm, kurz nachdem Emil mit Demians Mutter Eva seinen Platz gefunden zu haben meint, am Schluss als Soldat in den als Verheißung empfundenen Krieg.
Dort, im Lazarett, mit dem Sterben Demians, lässt Regisseur Kornelius Eich den Monolog beginnen, den er mit der Dramaturgin Friederike Weidner aus Hesses Roman für eine Ko-Produktion der Landungsbrücken und des Stadttheaters Bremerhaven destillierte. Im wehenden Mantel den Saal stürmend, bestreitet Leon Häder, ehedem Schauspielschüler der HfMDK und jetzt Ensemblemitglied in Bremerhaven, die als Rückblick konzipierte Genese. Eine Bühne gibt es nicht, bespielt wird das vor einer leeren weißen Wand sitzende Publikum von allen Seiten. Häder, ein schlaksiger Typ mit halblangem lockigen Haar von imposanter Präsenz und von Marijke Wehrmann in einen oversized-kuscheligen Wollpullover gekleidet, schreitet, keine Berührung scheuend, durch die Reihen oder stakst auf den Stuhlrändern immer weiter deklamierend über die Besucher hinweg: emphatisch, einnehmend, den Blickkontakt suchend. Musikeinspielungen (Thomas Osterhoff) und Lichtwechsel (Linus Koenig) deuten die Sprünge des irrlichternden adoleszenten Werdegangs von Emil an. Und just als er zur Ruhe kommt, macht er sich frei, um im transparenten lachsfarbenen Ritterhemd des Edelmannes die akkurat gestaffelte (Sitz) Ordnung zugunsten einer neuen aufzulösen, die kommunikativer ist. Eine gute Stunde bester Unterhaltung.

Winnie Geipert / Foto: © Jessica Schäfer
Termine: 21., 22. Oktober, jeweils 20 Uhr
www.landungsbruecken.org

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