Elfriede Jelinek am Kammerspiel Frankfurt

Gar nicht so einfach, aber das Ausprobieren lohnt sich: Zustände, die man kritisieren möchte, mit den Mitteln zu inszenieren, die diese Zustände einigermaßen affirmativ abbilden. So geschehen jetzt bei »Sonne/Luft«, einem zweiteiligen Textmonument der österreichischen Nobelpreisträgerin für Literatur, Elfriede Jelinek, das Lilja Rupprecht für das Kammerspiel inszeniert hat. Sie bringt es so auf die Bühne, dass man gar nicht weiß, wo man zuerst hinschauen, wo man zuerst hinhören soll: so viel passiert gleichzeitig und so viel ist gleichzeitig zu sehen: Wegen Überforderung bleibt der Verstand heute geschlossen.
Der Text ist ein Jelinek-üblicher Block, den man für die Bühne irgendwie zurecht fräsen muss. Lilja Rupprecht fräst aus dem ersten Teil »Sonne« fünf identisch gekleidete Sonnenfiguren, für den zweiten Teil »Luft« hat sie sich richtige Spielszenen einfallen lassen. »Sonne« präsentiert sie als Nummernrevue, hat die gut gelaunten Schauspieler*innen in strahlende Goldanzüge gesteckt, in denen sie so selbstverliebt posieren wie einst Elvis Presley in seinem Silberlametta-Anzug, aber irgendwie, hier, das hier ist keine Parodie. Das ist Ernst, so was von bitterem Ernst, dass man sich vielleicht in die Parodie retten muss?
Der Diskurs nun ist nicht nur dystopisch, er ist endzeitlich: die Sonne bläst sich auf wie ein Luftballon bis sie zerplatzt, die Luft ist verpestet, dass sie schwarz wird. Kein Atmen mehr möglich. Kein Sehen mehr möglich, kein gar nichts mehr möglich. »Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganz Länder den Tod empfangen. Das ist die Aufgabe der Mutter, dass sie töten muss und getötet wird von der Tochter. Ich verbrenne die Länder und hinterlasse nichts, für keinen, Geschlecht egal, denn nach uns wird kein Geschlecht mehr kommen.« Schlicht und einfach: mehr als Apokalypse, sondern der Zusammenbruch jeglicher Gewissheit von allem. So wahnsinnig wie wahnsinnig aktuell.
Annie Nowak, Manja Kuhl, Christina Geiße und Sebastian Reiß galoppieren deklamierend durch den Text, singen zur live eingespielten Musik von Philipp Rohmer, scherzen schön frontal ins Publikum, atemlos das Ganze, dazu perfekt – wieder einmal – choreographiert. Zum Brüllen komisch, diese selbstverliebte Sonne und die Blödheit der Menschen, die sich so blöd in der Sonne brennen lassen bis das Plastik des Badeanzugs mit der Haut verschmilzt, die Leute sind so unglaublich blöd. Ändert alles gar nichts. »Sie liegen da, die Körper, dicht an dicht, sie geben sich mir hin, ich bin nicht interessiert, sind sie tot?«
Im zweiten Teil »Luft« teilt sich der Vorhang und ein überfüllig komponiertes Bühnenbild wird sichtbar. Eine Fernsehstudiokabine – wie schon in Rupprechts »Schmutzige Hände«-Inszenierung zu sehen – ein Lebkuchenhäuschen auf einem Sockel, ein güldenes Brathähnchen mit einer Weltkugel als Kopf, ein paar halbherzige Zimmerpalmen, arabische Torbögen, die bald Filme von Wildtieren füllen, Tiger, Elefant, Kamel, diese Bühne spricht! So ein Kitsch! Aber das Szenische wirkt nachhaltiger. »Fragen sie mal den nächsten Flüchtenden, der sich anstellt, um den Blutzoll zu entrichten, siehe, da steht er schon, unsagbare Beklemmnis, vielleicht kommt er ja heute durch?«
Und Stopp. Dieses atemlose Hervorgestoße von Wortkaskaden, von aus dem Mund herausgekullerten Unsagbarem und Unsäglichem – es provoziert im Publikum Gelächter, aber vielleicht nicht eines von der Art, das im Halse steckenbleibt.
Elfriede Jelinek auf die Bühne zu bringen – da wandert man auf einem schmalen Grat. Der unglaubliche Scharfsinn, die Bitternis der Ironie, die sie hier benutzt, um die Klimakatastrophe, um die Flüchtlingsströme, um die Welt zu – was? – umschreiben, kommentieren, braucht auch ein karges Innehalten, das verstört. Sebastian Reiß kann das. Man meint zu hören, wie er die Worte beim Sprechen gleichzeitig reflektiert, die Verzweiflung spielt er unter der Textfläche gleich mit. Und es ist auch völlig egal, in welche Kostüme er gesteckt wird, ob schwarze Rüschen oder weiße, Schlafanzug oder Unterhemd. An ihm schreit die Kostümwahl nicht: schaut her, so viel Fantasie habe ich als Kostümbildnerin, jetzt guckt mal, was ihr als Zuschauer*innen da hineininterpretiert. So wie bei Manja Kuhl. Was hat sich Annelies Vanlaere für eine Mühe gegeben, sie auszustatten. In Erinnerung bleiben werden die Superbeine in Stöckeln, die schicken Shorts und der Graf-Dracula-Umhang. Christina Geiße sieht in ihrem gestreiften Badeanzug so attraktiv aus, dass sie – egal, wer jetzt grade dran ist beim Sprechen – ganz einfach der Mittelpunkt der Bühne ist. Nacktheit hat halt auch ihre eigene Dramaturgie.
Klar, die assoziative Flut der schön kitschigen Bilder ist das Spezialgebiet von Lilja Rupprecht, sie lässt die Bühne sprechen, hüllt sie in ein plakatives Nebeneinander von Ausschnitten, und da fehlt natürlich der Fokus. Soll er ja auch. Die ungebremste Informationsflut des Textes fließt – durch keinerlei Verdichtungen gebändigt, ja vielleicht auch vertieft – ins Publikum hinüber. Die Gleichzeitigkeit der Bilder macht die Bilder – so toll und schön und dekorativ und witzig ironisch sie auch sein mögen – irgendwann einmal auch überflüssig. Ist ja eh ein reales Problem, dass Bilder Bilder totschlagen. Lilja Rupprecht inszeniert die Wirkung der Worte gleich mit, das ist vielleicht ein bisschen viel. Denn die Welt kann untergehen, wen kümmerts?
Ja, wen kümmerts denn tatsächlich? Wegen Überforderung bleibt der Verstand tatsächlich geschlossen. Die Erfahrung von Tragik: abgeprallt. Auch ein Fazit. Und nicht das Schlechteste, vielleicht das Treffendste?

Susanne Asal / Foto: © Jessica Schaefer
Termine: 20., 27. Januar, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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