Es verschlägt einem die Sprache: Die Kammerspiele bringen »Malina« von Ingeborg Bachmann auf die Bühne

Es gibt Vorstellungen, da kommt man aus dem Theater und weiß nicht so recht, wo man sich befindet. Das sind diese Abende, für die, finde ich, Theater eigentlich gemacht wird. Nichts Gerades zu zeigen, sondern das Stürmische, das Ungelenke, das Grobe, hinter dem aber so viel unbeirrtes Wollen steckt, dass es einem erst einmal die Sprache verschlägt. Dafür ist das Theater da. Und das ist der Regisseurin Lilja Rupprecht, der Dramaturgin Katrin Spira und der Bühnenbildnerin Anne Ehrlich mit »Malina« gelungen.
In ihrer Inszenierung des 1971 erschienenen Romans von Ingeborg Bachmann setzen sie vollständig auf die Innensicht einer Frau. Unbeirrt davon, wie stark die publizierte Rezeption in »Malina« andere, politischere Inhalte in dem Roman aufspürt, setzen sie nur auf diese eine unbarmherzige Innenschau, vermutlich in dem Wissen, dass eine Innensicht auch immer das Außen mit einschließt.
Und so ist die Bühne bereits bereitet, wenn man den Zuschauerraum betritt. Zugerümpelt, könnte man sagen. Versatzstücke eines unbeherrscht gelebten Lebens, Versatzstücke unbeherrschbarer Nächte. Überlebensgroße Beine einer stets anwesenden, vermutlich schrecklichen Statue, nur bis zu den Knien sichtbar, und mittendrin der Musiker Philipp Rohmer am Klavier, mit dem Rücken zum Publikum, in einer Art Abendrock, von wandhohen Spiegelfragmenten gerahmt, so dass man sich selbst im Zuschauerraum gespiegelt sehen könnte. Was ist das bloß?
In dem dreigegliederten Roman wird die Geschichte einer Frau aufgeblättert, die einem Mann, Ivan, verfällt, und mit einem anderen Mann, Malina, zusammen lebt. Die Frau, eine Schriftstellerin, lässt Ingeborg Bachmann in ihrem Roman namenlos, im der Inszenierung heißt sie Inge, was insofern ein wenig irritiert, als die Schauspielerin Inga Busch zunächst in die Rolle der Frau schlüpft, ein Augenzwinkern. Sie verfällt dem Mann Ivan manisch, ein ewiger Kreislauf von Begehren und Abstoßen setzt ein, von Nicht-Gesagtem, in der der Mann, so wie es Elfriede Jelinek sagen würde, eine grundsätzliche Macht ausübt, nämlich die der Abwesenheit. Die Frau versucht sich auch damit, abwesend zu sein, spielerisch zunächst, dann verzweifelter, aber es gelingt ihr nicht so überzeugend wie ihm. Sie ist nicht abwesend. Sie ist nur anwesend in ihm, sie ist absolut in ihm. In Ivan.
Im zweiten Teil stößt der Roman in die Tiefen des Ungesagten, des Unsagbaren vor, des Missbrauchs durch den Vater, hilflos geduldet von der Mutter. Die Vaterfigur wird zum NS-Schergen. Wie dies inszeniert ist, wie dies Fridolin Sandmeyer, Manja Kuhl und Inga Busch in nun wechselnden Rollenzuschreibungen spielen, gehört zu dem Eindrücklichsten, das man seit Langem hier auf der Bühne gesehen hat. Inga Busch schlüpft in ihr Kleid, ein Abendkleid, ein Schneckenhaus, ein Ballast, ein Schutz, ein Gefängnis. Gummimasken über die Gesichter gestülpt, grauenvoll- groteske Perücken, die die Gesichter verstecken, so wird hier ein Nachtmahr vor unseren Augen geboren. Und dabei ist es so unglaublich menschlich berührend.
Philipp Rohmer hat dazu eine sehr eindrückliche Musik komponiert, die die Fallhöhe der Darstellungskunst herausfordernd anhebt. Einmal singt Inga Busch und man erinnert sich an Nina Hagen, fröhlich, lustig, das ist ganz zu Beginn ihrer Geschichte mit Ivan. Die Töne werden dunkler, hart, stählern, flirrend, ohrenbetäubend mitunter, und dann wieder liedhaft.
Ein wilder, ungezähmter Abend.

Susanne Asal (Foto: © Jessica Schäfer)

Termine:
27. November, 20 Uhr; 11., 18. Dezember, 20 Uhr; 31. Dezember, 18 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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