Mit harten Bandagen
Ihr Bruder ist der Schriftsteller Robert Menasse. Ihr Vater war österreichischer Fußballnationalspieler. Sie selbst ist als Journalistin bekannt geworden (u.a. bei der FAZ) . Berühmt wurde sie gleich mit ihrem ersten Roman »Vienna«, die Geschichte eine Wiener Familie mit teils jüdischen Wurzeln. Jetzt legt sie nach, mit Boshaftigkeiten, die ja immer Spaß machen, für die Betrachter. Die Tiere geben einen ungewöhnlichen Rahmen ab.
Igel, die einen weggeworfenen Eisbecher auslecken und darin steckenbleiben, Schafe, deren Wolle von alleine abfällt, Enten, bei denen immer nur ein Auge schläft, während das andere geöffnet wacht, ein überfahrenes Opossum, das ein Autofahrer durch Mund-zu-Mund-Beatmung wieder lebendig zu machen versucht, jeder der acht Erzählungen hat Eva Menasse eine ganz eigene Tiermeldung vorangestellt. Immer haben diese kleinen Geschichten einen Bezug zu den Erzählungen, die das menschliche Verhalten beschreiben.
Etwa: Der Jugendfreund einer Frau, die sich Tom nennen lässt, stirbt. Um den Tod zu verarbeiten, hilft ihr, wie sie hofft, ein Urlaub mit ihrer Patchwork-Familie in der Türkei. Aber schon vor der Abreise kommt es zu skurrilen Situationen. Die beiden Kinder ihres Mannes Georg, die abwechselnd bei ihrer Mutter und ihnen leben, reisen bereits mit gepackten Rucksäcken an. Die werden ausgeschüttet und fotografiert. Stattdessen packt sie die gleichen Sachen, von ihr gekauft und gekennzeichnet, wieder ein, um die Vorwürfe der boshaften Mutter, die Sachen wären beschädigt oder extrem verschmutzt, schwungvoll auszubremsen. Auch das Verhältnis der Kinder zu ihrer Stiefmutter ist etwas delikat. Der Kleinkrieg einer ganz normalen Patchwork-Familie.
Oder: Konrad, ein älterer Despot, pflegt seine demente Frau. Er versucht vor seinen beiden Töchtern zu vertuschen, wie schwer krank sie ist. Er handelt sich deshalb von ihnen Vorwürfe ein, dass er keine Hilfe für sie engagiert. Doch er kennt die Bedürfnisse seiner Frau am besten: »das aber verstanden die beiden patenten Kühe nicht, die seine Töchter waren.« All seine aufopfernden Fürsorglichkeit könnte allerdings auch mit seiner alten Rechthaberei zusammenhängen. Deshalb schickt er kurzerhand die von den Töchtern beauftragten Handwerker wieder weg, die angerückt waren, um das Haus rollstuhlfähig zu machen.
Oder: Charly Reinecke. Seine Frau ist eine selbstbewusste Künstlerin. Er wäre »wie einbeinig ohne sie, vollkommen aus der Balance«. Plötzlich aber beginnt sie mit einer Art von »Schönheitsanstrengungen«. Sie spürt vermutlich, dass er nebenbei immer wieder Freundinnen hat. Eines Abends, er ist auf dem Weg zu seiner Freundin, sieht er ein angefahrenes Reh auf der Fahrbahn liegen. Er stoppt, geht zu dem sterbenden Reh, schaut ihm in die Augen und denkt dabei, es habe doch nur »von einem Wald in den anderen laufen wollen«.
In der letzten Geschichte, auch aus dem Patchwork-Milieu, fragt sich Jenna, während sie durch Orte wie Klein-Machnow oder Teltow fahren, »schon die Namen klangen wie Grünkohl«, ob sie ihren Mann Ben verlassen soll. Jenna hatte den Eindruck, »dass Ben ihre schlechten Eigenschaften übernahm, während er ihre guten Eigenschaften derart heftig ablehnte, dass sie sie selbst in Frage zu stellen begann.« Er war inzwischen empörend unaufmerksam geworden: »Er ließ ihr Schwingtüren ins Gesicht fallen«, »er ging kilometerweit voraus, weil er nie bemerkte, dass sie vor einem Schaufenster stehen geblieben war.« Er schloss das Auto ab, während sie noch drin war: »Sie saß dann da und zählte, kalt vor Wut die Sekunden, bis er es bemerkte.«
Eva Menasse beschreibt das ganz banale Leben, die Anforderungen des Alltags, denen man oft nicht gewachsen ist, bis es schwierig wird, den anderen zu verstehen und zu ertragen. Es sind Geschichten über Versagen, Liebe, Scheitern und Tod. Es sind ironische, auch witzige Geschichten, oft von schwarzem Humor durchdrungen. Tragödien des Alltags, in brillantem Stil beschrieben.