Auch dieses wichtige Wiesbadener Publikumsfestival erholt sich von der Corona-Zeit. Die Programm-Scouts haben die letzten 12 Monate aufgemacht und bemerkenswerte Filme aus den großen europäischen A-Festivals aufgespürt. Es seien auch viele Einreichungen für den Auslands-Oscar 2024 darunter, heißt es. (Gerne werden sie als Nominierungen bezeichnet.) 2000 Kurz- und Langfilme standen zur Auswahl, davon werden rund 200 zu sehen sein.
Der Fokus ist in diesem Jahr auf Chile gerichtet. Das Land leidet unter eklatanten Missständen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die ausgewählten Filme handeln von den patriarchalen Strukturen und/oder dem nachwirkenden Terror der Militärdiktatur. Junge Filmschaffende sind nach Wiesbaden eingeladen, um die eigenen Werke vorzustellen.
Die lateinamerikanisch-europäische Koproduktion »The Settlers« (Los colonos) von Felipe Gálvez handelt von drei Killern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Auftrag eines mächtigen Unternehmers so viele indigene Menschen wie möglich umbringen sollen, um neue Weidewege für gigantische Nutztierherden zu erschließen. Der Film ist von Chile für den Auslands-Oscar 2024 eingereicht worden.
»1976«, das Regiedebüt der Schauspielerin Manuela Martelli, zeigt, wie sich die Ehefrau eines Arztes durch ihre Hilfsbereitschaft in eine gefährliche Lage während der Militärdiktatur bringt. Die Komödie »Thanks for Coming« (Gracias por venir) ist das Langfilmdebüt von Taiyo Yamazaki. Er erzählt, wie nach einem Todesfall der Verkauf eines Hauses der Familie verhindert werden soll. Die bitterböse Polit-Parabel »Prison in the Andes« (Penal Cordillera) von Felipe Carmona beschäftigt sich mit dem Luxusleben der nach dem Ende der Diktatur zu 100-jährigen Haftstrafen am Fuße der Anden verurteilten Foltermilitärs.
In der Sektion »World Cinema« sind neben dem kolumbianischen »The Kings of the World«, dem Hauptpreisträger von San Sebastian 2022, fünf Filme zu sehen, die sich als Ländereinreichungen um den Auslands-Oscar 2024 bewerben: »Inshallah a Boy« für Jordanien, »Bye Bye Tiberias« für Palästina, »Olfas Töchter« für Tunesien, »The Delinquents« für Argentinien und »Omen« für Belgien.
Das »European Cinema« wartet mit acht Highlights großer Festivals auf. Vier Spiel- und drei Dokumentarfilme werden in der ältesten Festivalsektion »American Independents« gezeigt. In der ergreifenden Komödie »A Great Place Called Home« verändert ein Ufo das Leben eines Rentners (Ben Kingsley) und weckt dessen Lebensfreude. Zudem widmet sich die Musikdoku »Hung up on a Dream – The Zombies« der genannten Band und »Little Richard: I Am Everything« dem King of Rock ’n’ Roll mit selten gezeigtem Archivmaterial.
Für den besten Film in der Reihe »Made in Germany« darf das Publikum den mit 3000 Euro dotierten Preis »Das Brett« vergeben. Sechs Spielfilme und ein experimenteller Dokumentarfilm zum Thema »Liebe und deren Zwänge« stehen zur Wahl. Einen Publikumspreis gibt es auch bei dem zum 18. Mal stattfindenden Wettbewerb um den besten Wiesbadener Kurzfilm mit zwölf Kandidaten, darunter zahlreichen Premieren. Das Programm ist Teil der in Kooperation mit dem Kulturamt Wiesbaden initiierten Reihe »Filmstadt Wiesbaden«. Der Internationale Jugendfilm-Wettbewerb »Youth Days« widmet sich den Heranwachsenden und den schwierigen Situationen, in die sie geraten.
Die Festivalzentrale befindet sich erneut in der Caligari FilmBühne, weitere Vorführorte sind das Murnau-Filmtheater, die Krypta der Marktkirche und für Wiederholungsvorstellungen der Chile-Reihe die Pupille, das Frankfurter Kino in der Uni.