Vor 100 Jahren begann der Hessische Rundfunk als »Sender Frankfurt« mit der Wiedergabe von Beethovens »Egmont-Ouvertüre« einen zaghaften Sendebetrieb. Das heutige hr-Sinfonieorchester nahm fünf Jahre später (also vor 95 Jahren!) als »Frankfurter Rundfunk Symphonieorchester« die Arbeit im neuen Medium Radio auf und entwickelte sich recht bald zum Tummelplatz bedeutender Musiker: Paul Hindemith und Kurt Weill gehörten zu den Komponisten der ersten Sendestunden, die dem Ensemble Werke widmeten oder uraufführten. Hans Rosbaud als Chefdirigent, Komponisten wie Arnold Schönberg (1931 sogar mit einem ersten Radiovortrag) oder Anton Webern gingen zu Beginn quasi ein und aus. Die ersten Studios waren im ehemaligen Postscheckamt etabliert, wenig später konnte bereits ein Konzertsaal in den Gebäuden der heutigen Hochschule für Musik und darstellende Kunst genutzt werden. Nach dem 2. Weltkrieg wurde 1953 das heutige »Funkhaus am Dornbusch« mitsamt großartigem Konzertsaal (war ursprünglich als Plenarsaal für Frankfurt als Bundeshauptstadt geplant) als endgültige Wirkungsstätte des hr und des heutigen hr-Sinfonieorchesters (Frankfurt Radio Symphony) bezogen.
Besonders der Afro-Amerikaner Dean Dixon (dem aufgrund seiner Hautfarbe als Orchesterleiter seinerzeit in Amerika kaum ein Podium geboten wurde) setzte von 1961 bis 1974 maßgebliche Impulse im Hinblick auf Repertoire und künstlerische Arbeit. Mit Dixon tauchten neben klassisch-romantischen Klängen auch damals eher wenig bekannte Komponisten auf: Henze und Karl Amadeus Hartmann, Carl Nielsen und Franz Berwald, Charles Ives ließen als Ohrenputzer aufhorchen. Eliahu Inbal setzte später 16 Jahre lang Maßstäbe mit übermächtigen Porträts von Gustav Mahler, Anton Bruckner oder Hector Berlioz. Mit dem Amerikaner Hugh Wolff trat danach einer ans Pult, für den Klänge der »alten und neuen Welt« keine Widersprüche waren: Haydn versus Copland, so what?
Eine in diesen Jahren entwickelte Klangkultur des Orchesters intensivierte der Este Paavo Järvi auch in Richtung Skandinavien: alle Sinfonien des Dänen Carl Nielsen wurden gemeinsam auf CD eingespielt, Sibelius, die großartigen estnischen Komponisten Sven Tüür, Eduard Tubin oder Arvo Pärt erklangen hier teils zum erstenmal.
Seit 2021 ist der charismatische Franzose Alain Altinoglu Chef des Orchesters. Auch dessen Programmgestaltung lässt aufhorchen. Für die Jubiläumssaison sind nicht nur »große Künstler und große Gefühle« angesagt (Mahlers 5. Sinfonie etwa, Dvoraks 8. und 9. Sinfonie, Schostakowitsch 8. Sinfonie als Fortsetzung eines ganzen Zyklus). Besondere Höhepunkte der kommenden Saison sind vielmehr: das selten aufgeführte Oratorium (eigentlich Mysterienspiel nach Texten von Paul Claudel) »Jeanne d‘Arc au bucher (Johanna auf dem Scheiterhaufen)« des Schweizer Komponisten Arthur Honegger, mit der großen französischen Schauspielerin Marion Cotillard als Sprecherin und dem Wiener Singverein. Ehrensache: Chefdirigent Alain Altinoglu am Pult des hr-Sinfonieorchesters – da bietet sich der reizvolle Vergleich mit einer ebenfalls geplanten (szenischen) Aufführung der Oper Frankfurt an, in der Johanna Wokalek die Sprechrolle übernimmt.
Weitere Highlights werden Begegnungen mit Thierry Escaich sein, dem diesjährigen »composer in residence«, der auch als Solist in eigener Sache auftritt und als Auftragswerk ein Konzert für BigBand und Orchester im Gepäck hat. Umrahmt wird das Ganze mit Kompositionen von George Gershwin, u.a. dessen Rhapsody in Blue mit Chef Altinoglu als Solisten, der, wie wir aus vergangenen Konzerten wissen, auch ein fabelhafter Pianist ist.
Spannend wird ein Abend mit »Women Power«, wenn Musiker*innen des hr-Orchesters ausschließlich auf Spurensuche sind von Komponistinnen wie Nadia Boulanger, Clara Schumann, Marie Jaell oder Emilie Mayer. Die Welt des renommierten brasilianischen Fotografen Sebastiao Salgado gilt es mit dem Projekt »Amazonia« in der Alten Oper zu entdecken: spektakuläre Bilder aus einer überaus bedrohten Umwelt Brasiliens kombiniert mit Kompositionen von Heitor Villa-Lobos und Philipp Glass. Eröffnet wird die Saison 2024/25 traditionsgemäß mit dem Europa Open Air vor der EZB am Frankfurter Mainufer am 22. August mit Mozart, Smetana und Mussorgskis »Bilder einer Ausstellung«.
Um mehr jugendliche Interessenten zu gewinnen, gibt es nun beispielsweise ein »Abo U30« mit bis zu 50% Ermäßigung auf die Eigenveranstaltungen des hr. Klassik-Abos wie »Große Reihe« (4 Konzerte), »Klassik plus« (5 Konzerte) und »Klassik premium« (7 Konzerte) geben flexiblere und preiswertere Auswahl. Weiterhin beibehalten bleiben die beliebten Formate »Barock+«, »Auftakt« mit jungen Talenten, »Forum N« mit zeitgenössischer Musik und eine große Kammermusikreihe mit Musiker*innen des Orchesters.
Das alles und viel mehr ist nachzulesen in der Saison-Broschüre.