Frauenmuseum Wiesbaden entdeckt die jüdische Malerin Edith Auerbach

Eine Frau sitzt im Café und zeichnet. Skizzenhaft erfasst sie die Züge der Porträtierten, verdichtet deren Physiognomie, prüft die Perspektive. Vermutlich ist sie eine unter vielen, die im Jahr 1926 in einem Pariser Künstlercafé sitzen und zeichnen, schließlich war Paris damals das vibrierende Mekka der Kunst und der Bohème, und wer etwas lernen, gelten, erreichen, ins Gespräch kommen wollte, ging nach Paris. Sie hat Glück. Zufällig wird ein ganz besonderer Mann auf sie aufmerksam: Henri Matisse. Der eine wurde weltberühmt, die andere wurde es nicht, aber!
Eine Ausstellung im Frauenmuseum Wiesbaden entreißt gerade eine jüdisches Künstlerin dem Vergessen. Die Jüdin Edith Auerbach (1899-1994) wird dort sehr engagiert vorgestellt, mit zahlreichen Bleistift- und Kohlezeichnungen und auch mit neun Gemälden. Dass sie hier präsentiert wird, verdankt sich einem unglaublichen Zufall: Die Arbeiten von Judith Auerbach sowie biografische Zeugnisse wurden unabhängig voneinander auf einem Pariser Flohmarkt und bei Bouquinisten ertrödelt – die Bilder vom niederländischen Kunsthändler Guus Maris, die Lebenszeugnisse von dem jungen Kunsthistoriker Bruno Chenique. Und so setzt sich Stück für Stück puzzlehaft die Biografie einer Frau zusammen, der Henri Matisse eine glänzende Zukunft voraussah, die aber nach Kriegsende keine Mittel mehr fand, malen zu wollen, malen zu können, ganz in der Logik Theodor W. Adornos: Nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch.
Akribisch hat das Frauenmuseum Wiesbaden rekonstruiert: Hineingeboren in eine angesehene jüdische Familie, die ihren Emanzipations- und Freiheitswünschen keinerlei Schranken setzte, probierte sich die junge Edith Auerbach zunächst als Studentin der Philosophie und Kunstgeschichte aus, bevor sie in München bei Karl Caspar und Hans Hofmann Malunterricht nahm und sich anschließend in Paris niederließ. Schnell fand sie Freunde in den Cafés und Künstlerkreisen, lebte im »Hôtel des Terrasses«, in dem auch Henry Miller, der Fotograf Brassaï und André Kertesz wohnten, porträtierte unter anderem Kiki de Montparnasse und den Architekten Erno Goldfinger, der das Vorbild des James Bond Bösewichts gewesen sein soll. (Diese Zeichnung ist in Wiesbaden zu sehen) Von ihren Zeichnungen im expressionistischen Stil und ihren journalistischen Arbeiten konnte sie gut leben.
Edith Auerbach genoss in Paris einigen Ruhm, ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgestellt, von Galerien vertreten. Über den Verbleib ihrer Gemälde weiß man nicht viel, doch aus Korrespondenzen lässt sich herauslesen, dass sie Stillleben und Landschaften in Palästina, Marokko, Griechenland und Spanien gemalt hatte.
Im Jahr 1940 dann wurde sie zusammen mit Hanna Arendt und der Fotografin Maria Eisner im Pariser Velodrome d’Hiver interniert, kam anschließend ins Camp de Gurs. Sie schaffte es, unterzutauchen und sich unter dem Namen Irène Delamare eine Existenz im Untergrund aufzubauen. Ihre künstlerische Biografie endet in den frühen 1950er Jahren.
Sieben Gemälde, die nach dem Krieg entstanden, sind im ersten Stockwerk des Museums ausgestellt. Es sind, wie sollte es anders sein, verstörende Werke, kopflose amorphe Wesen, die im Gleichschritt auf eine untergehende Sonne marschieren, Stacheldraht, nackte Vögel ohne Federkleid, Blutströme, Gemarterte, stumpfe, braune, graue Farbtöne.
Und so sucht der Blick unwillkürlich wieder die Skizzen, ihre Caféhaus-Geschichten, die witzigen Frauengesichter oder die müden, die hingetupften oder die mit grobem Strich Porträtierten. Oder die schönen Selbstporträts. Das schönste ist ein Gemälde im expressionistischen Stil, in kräftigen Rot-und Grüntönen, mit geschlossenen Augen. Und man stellt sich unweigerlich die Frage: Wie groß hätte sie werden können, diese Edith Auerbach?

Susanne Asal (Foto: Selbstportrait, © Edith Auerbach )

Frauenmuseum Wiesbaden,
bis 30.1.2022, Mi., Do., Sa., So., 12–17 Uhr
gut recherchiertes Begleitheft
www.frauenmuseum-wiesbaden.de

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