Freies Schauspiel Ensemble zeigt »Diplomatie«

Paris brennt nicht

Spannung bis zum Schluss. Und das, obwohl dieser nicht zuletzt durch Volker Schlöndorffs »Diplomatie«-Verfilmung von 2014 bekannt ist. Obwohl Paris nicht zerstört wird und nichts Spektakuläres auf der Bühne passiert. Und obwohl uns mit dem gleichnamigen Bühnenstück von Cyrl Gély reines Sprechtheater serviert wird vom Freien Schauspiel Ensemble im Bockenheimer Titania.
Es geht in »Diplomatie« darum, durch Reden zu verhindern, dass ein unsinniger Führerbefehl aus dem Jahr 1944, die Zerstörung von Paris, durchgeführt wird (s. Strandgut 9/2017). Regisseurin Bettina Kaminski konzentriert ihre Inszenierung der Begegnung zwischen dem Wehrmachtsbefehlshaber, dem als hartem Hund bekannten General Dietrich von Choltitz (Adrian Scherschel), und dem smarten Generalkonsul von Schweden Raoul Nordling (Jürgen Beck-Rebholz) ganz auf die Ausstrahlungskraft ihrer Darsteller. Um es vorwegzunehmen: das gelingt hervorragend.
Ein blechern klingendes französisches Chanson führt uns ein ins Pariser Hotel Meurice, der Schatten eines kriechenden Soldatenkörpers in die Kriegssituation und ein Befehl an den Adjutanten Meyer (David Földzin) offenbart uns die Ausweglosigkeit des Kampfes für die deutschen Besatzer. Und dann begegnen sich Choltitz und Nordling auf einem schmalen, den Raum schräg teilenden Laufsteg (Bühne: Gerd Friedrich): der General in Uniform mit blutroten Streifen, der Diplomat Nordling im feinblauen Anzug, Krawatte, Einstecktuch, Brille.
Begegnen? Eigentlich nicht. Denn es dauert lange, bis sich beide ins Gesicht sehen. Erst aber wenden sie einander beim Reden den Rücken zu, dann wieder sprechen beide ins Publikum. Ihre Versuche, sich dem jeweils anderen zu nähern, schlagen regelmäßig fehl. Erst zum Schluss kann man von Begegnung sprechen.
Das ist fein choreografiert von Kaminski. Ebenso klug gliedern in Licht und Ton gesetzte Zäsuren die Argumentationsebenen des hartnäckigen Diplomaten: politisch, philosophisch, pragmatisch und letztendlich auch persönlich versucht er die Abwehrhaltung des Generals – Befehl ist Befehl – aufzuweichen.
Was im Film als Unterbrechung möglich ist durch gelegentliche Blicke aus dem Fenster auf das »Opfer« Paris, wird hier übertroffen durch ein lautes Blitzlicht auf andere »Opfer« des kriegerischen Geschehens: unter dem Laufsteg (ein Lazarett?, eine Unterkunft?) liegen drei blasse junge Soldaten – die Schauspielschüler Felix Benter, Husain Mamen und Victor Schlothauer – und tauschen schreckliche Erfahrungen und Gedanken über Krieg, Tod und Töten, Moral und Schicksal aus. Zitate allesamt, unter anderem aus Erich Maria Remarques Roman »Im Westen nichts Neues«. Die Fremdtexte geben der Inszenierung ihre eindrückliche Note.
Nicht nur die Erleichterung über die endlich getroffene Entscheidung des Generals beschließt das Stück, auch leise Zweifel über die in der Diplomatie angewandten zweischneidigen Mittel. Auf der Bühne nachvollziehbar ist die überzeugende Kraft der Argumente von Vernunft und Menschlichkeit. So überzeugend wie diese kluge und spannende Inszenierung.

Katrin Swoboda (Foto: © Felix Holland)
Termine: 4., 5., 25., 26. November 2017, jeweils 20 Uhr
www.freiesschauspiel.de

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