Fritz Rémond Theater: Viel Spaß mit Molières »Menschenfeind«

Hält es oder hält es nicht? Zu den spannendsten Szenen des Theaterabends im Fritz Rémond gehört fraglos die atemraubende Kopfüberlage Célimènes auf der mit knallrotem Teppich ausgelegten bühnenfüllenden Treppe – in einem auf das Knappste dekolletierten türkisgrünen Abendkleid. Es hält geradeso, und es verführt vielleicht den einen oder anderen Besucher der Premiere von Jean-Baptiste Molières »Der Menschenfeind« sich diesem Kitzel noch einmal auszusetzen. Würde nur keiner zugeben, und schon sind wir mitten im Thema dieses Stücks.
Denn es geht in »Le misantrope« um die Bedingungen von Ehrlichkeit und kompromissloser Aufrichtigkeit, die der um die Witwe Célimène werbende Protagonist des Stückes nicht gegeben sieht in der Gesellschaft seiner Zeit. 1666 verfasst und uraufgeführt, hat Molière knapp 100 Jahre vor dem »Émile« und »Contrat Social« in Alceste eine Art Früh-Rousseauisten kreiert, für den die Selbstverwirklichung nur außerhalb des Bestehenden möglich scheint. Dass er damit zum Scheitern verurteilt und der Lächerlichkeit preisgegen ist, versteht sich.
Im Frankfurter Zootheater hat der Regisseur Heinz Kreidl aus der klassischen Tragikomödie ein Lust-Spiel in jedem Sinne gemacht und in Madeleine Niesche eine Schauspielerin mit starker physischer Präsenz und betörendem Timbre für das Objekt der Begierde gefunden – kaum mehr die junge Witwe des Originals, sondern auf dem Weg in die Wechseljahre. Und nicht nur Tom Grasshofs Treppenbühne und Ulla Röhrs’ Kostüme sind enthistorisiert. Auch der Text, den Kreidl zugrunde legt, kommt aus der Mangel. Die Fassung von Horst Jüssen kann man als Populär- oder Boulevardversion des Originals bezeichnen. Mit deutlichem Strich, reduziertem Personal, einem zum Duell um eine Femme fatal umgedeuteten Konflikt der Weltansichten und mit einer modernisierten, weitgehend auf Reime verzichtenden Sprache gelingt freilich eine glänzend unterhaltende Bühnenschau, die dank dem großartig grantelnden Christopher Krieg in der Titelrolle auch zur beißenden Kritik an gesellschaftlichen Konventionen gerät. Sonderlich fremd, sonderlich fern, sonderlich gestrig, hat sie wohl niemand empfunden.
Die verlogene Gesellschaft von Heuchlern und Speichelchelleckern, die Alceste ohne Scheu vor gerichtlichen Verfahren bekriegt, scheint so zeitlos, wie die Vergeblichkeit des Kampfes gegen sie. Was freilich auch für radikalreligiöse Weltsichten und Wahrheitsaposteleien gilt, wie der Lebenspraktiker und Bonvivant Philinte (Marko Pustisek) als einzig verbliebener Freund dem Streiter deutlich zu machen sucht. Zu seinem großen Gegenspieler avanciert nun aber der zunächst grandios verspottete Sonetten-Dichter Oronte (Martin Krah), der praktisch alle (anderen) Freier des Stücks in sich vereint. Tatsächlich gewinnt die Figur dadurch, während Célimènes eher hausbackene Cousine Éliante (Carolin Freund) mit der Einverleibung der durchtriebenen Arsinoé zum Emotionsspagat gezwungen ist. Dramaturgisch wird dieser Gap mit reichlich Alkohol kompensiert – und quasi als Ausrutscher entschuldigt. Am Ende landet die brave junge Seele zum Glockenklang einer Celesta in den Armen des bejahrten Romantikers Philinte.
Nah dran am vermeintlichen Glück wird der tapfere Alceste von der amüsierwütigen Stadtfrau, in der Rundschau treffend zur Lustige Witwe gekürt, dann doch allein »zu den Kühen und Schafen« aufs Land geschickt. Was er, für den es kein richtiges Leben im falschen gibt, denn wohl auch tut. Viel Beifall – nicht nur dafür.

Winnie Geipert / Foto: © Helmut Seuffert
Bis 26. Februar, Di.–Sa., jeweils 20 Uhr; So., 18 Uhr
www.fritzremond.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert