Studio Naxos beeindruckt mit dem Familienporträt »Wir liebten nicht alle«

Eine grüne rechtwinklige Spielfläche, seitlich von einem Podest und nach hinten von einer Trennwand mit verstellbaren Klappen abgegrenzt. Auf den fernen hellen Hintergrund werden im Laufe des Abends Bilder und Videoeinspielungen in Stadtlandschaften projiziert, alle in Schwarzweiß. Schreiend bunt dagegen – in Weiß, Rot, Blau, aber auch Silber und Schwarz – treten die drei Schauspielerinnen auf. Man denkt spontan an Frankreich und dann daran, dass ja auch die russische Trikolore rotweißblau ist, am besten aber man denkt sich nichts dazu. Was nicht ganz leicht fällt bei einem Stück, das höllische Aufmerksamkeit verlangt., wozu auch gehört, dass das Darstellertrio (Lisa Henrici, Katharina Merschel, Mariann Yar) sich ohne erkennbare individuelle Zuschreibung abwechselnd die Rollen teilt. Kurzum: Es gilt, genau hinzuhören und das gesprochene Wort.
»Wir liebten nicht alle – die Geschichte der Jahrhundertfamilie Wolf«, das jüngste Produkt von Carolin Millners Theaterkollektiv Eleganz aus Reflex, kolportiert und verkehrt ein recht peinliches Zitat des einstigen Stasi-Minister Erich Mielke aus seiner (einzigen) Rede vor der Volkskammer der DDR im November 1989. Der persiflierenden Titel indiziert denn auch, dass sich die Mitglieder »Jahrhundertfamilie« in ihrem gesellschaftlichen Umfeld immer sehr bewusst zu positionieren vermochten. Beginnend hier mit Else Dreibholz, die ihrem späteren Mann Friedrich Wolf, dem jüdischen Armenarzt und Theaterautor, gleich in der ersten Szene, eine Nachhilfestunde in puncto weiblichen Selbstbewusstseins gibt.
Runde 100 Jahre ist das her; Markus, beider Sohn und spätere Geheimdienstchef der DDR, kam am 19. Januar 1923 im schwäbischen Hechingen zur Welt, was denn auch den Anlass für diese Inszenierung der inzwischen in Berlin lebenden Theatermacherin gegeben hat. Millner hat sich im Fünfteiler »Rot oder tot« schon einmal mit den vergebenen Chancen der DDR befasst.
Die Wolfs gehörten zur linken kommunistischen und antifaschistischen Opposition der Weimarer Republik, flohen 1933 über die Schweiz und Frankreich nach Moskau und übersiedelten nach dem Krieg in das neue Deutschland, wo Markus in der Politik und sein jüngerer Bruder Konrad als Filmemacher zu prägenden Figuren des öffentlichen Lebens wurden. Letzterer mehr, ersterer weniger im Licht.
Millner zeichnet die Etappen der Familie in einer Textkolportage als Stationen-Drama nach, das sich vor dem Hintergrund historischer Ereignisse überwiegend aus privaten, intimen Wortwechseln speist. Mit dieser Sicht aus dem Innenleben rückt die Regisseurin denn auch – ganz im Sinne von cherchez la femme – die aktive und prägende Rolle der Wolf-Frauen und ihre Schicksale ins Licht. Neben der Friedrich-Gattin Else und seiner von ihr tolerierten Geliebten Lotka, die unter Stalin in der Verbannung landete, sind dies insbesondere Markus Wolfs erste Frau Emmi, aber auch die dieser folgenden Christa, sowie Andrea Stingl.
Auffällig in der Inszenierung, dass das zunächst vor unseren Augen stattfindende Spiel sich mit Beginn der Karrieresprünge der Wolfs zurück hinter die Trennwände verzieht. Je stärker die Wolfs zu historischen Figuren werden, desto verstellter, schemenhafter wird unser Bild von ihnen und ihren Motiven. Erst zum Schluss erleben wir sie wieder ganz nah, begleitet von einem Gedicht, das danach fragt, was bleibt.
Dass das Publikum mit einer Reihe uns wenig oder auch kaum mehr geläufigen historischen Ereignissen und Personen konfrontiert wird, schmälert keineswegs die sich aus den Dialogen ergebende Spannung. Ja, man muss wohl nicht einmal die Wolfs und ihre Geschichte genau kennen, um sich mit wachsendem Interesse in ihre Konflikte einzufühlen. Carolin Millners intensiv recherchiertes und aus Dokumenten, Briefen, Tagebüchern, Reden, Stücken fein gefügtes Erzählmosaik wird dank der sprachlichen Präzision der Darstellerinnen zu einem beeindruckenden und anregenden Erlebnis, das in jedem Falle zur Weiterbeschäftigung lädt.
Ganz nebenbei: Schön für alle künftigen Besucher, dass ihnen das jetzt wohl auch in der freien Szene obligate Premierenlautgekicher vermeintlicher Insider erspart bleibt. Selten so gedacht.

Winnie Geipert / Foto: © Andre Simonow
Termine: 25., 26. Februar, jeweils 20 Uhr
www.studionaxos.de

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