Liebe auf Abwegen
Ein kleines großes Fest der Sinne schwebt Helen Körte vor, wenn ihre Inszenierung »Denk ich an Kafka, werde ich zum Fuchs« im Frankfurter Gallus-Theater zur Aufführung kommt. Klein, weil der Rahmen, den die Spielstätte des Ensemble 9. November (E9N) vorgibt, eine familiäre Nähe von Publikum und Darstellern erlaubt, klein aber auch, weil das Stück auf dem ihre Arbeit basiert – »Lady into Fox« von David Garnett aus dem Jahr 1922 – eine wahre Preziose ist, die gerade erst wieder entdeckt wird. Das literarische Kleinod ist nur 150 Seiten lang, mehr eine Novelle als ein Roman. Der Erstling ihres zur Bloomsburry Group von Virginia Woolf gehörenden Verfassers kommt derart surreal daher, dass Helen Körte ihrer Arbeit einen passenderen Titel verlieh: »Denk ich an Kafka, werde ich zum Fuchs«.
Diese Referenz an den Prager Dichter ist eine auch vom Autor gewollte, erzählt Garnett in seiner Geschichte doch davon, wie die junge verheiratete Sylvia Tebrick sich ohne weiteren sichtlichen Grund in eine Füchsin verwandelt, in eine Fähe, wie es in der Jägersprache heißt. Anders als es ihrem zehn Jahre älteren geistigen Bruder Gregor Samsa mit seiner Familie geschieht, ergeht es Sylvia mit ihrem Gatten Richard. Der bleibt ihr nicht nur weiterhin treu, sondern liebt die fellige Braut noch hingebungsvoller als die ohne. Dass auch die Füchsin immer mehr Gefallen an ihrer neuen pelzigen Natur findet und es sie zu einem prächtigen Rüden zieht, mit dem sie fünf Fuchswelpen zeugt, schmälert nicht die Liebe des Ehepaares zueinander, wenngleich es auch ein wenig Eifersucht gibt.
Körte hat von der Existenz dieser leichtfüßig (wie ein Fuchs) daherkommenden Geschichte erst im Frühjahr durch ein euphorisches Radio-Feature über ihre Neuübersetzung erfahren. Gehört – gelesen – und sofort überzeugt, erfüllt Garnetts »Dame in Fuchs« doch alles, was sie sich für ihre aktuelle Arbeit wünscht. Der bilder- und assoziationsreiche Text lasse nicht nur der Phantasie freien Lauf, ohne beliebig zu werden, meint die Regisseurin. Er entspreche auch ihrem starken Bedürfnis, ihr Publikum einmal problemfrei mit nichts als den schönen Künsten zu vergnügen. Man könnte auch »begnügen« sagen, wüsste man nicht, wie opulent und rauschhaft Körtes zirzensische Inszenierungen mit E 9 N zu geraten pflegen.
Mit der natürklich weitgehend sprachlosen performativen Rolle der Füchsin ist Helen Körtes erklärte Bühnenfavoritin Raija Siikavirta betraut, die mit ihrer tänzerischen Anmut hier schon als Gelsomina (»La Strada«), in »Wenn das Kind in die Polenta fällt« und in vielen anderen Körte-Stücken begeisterte. Stimmlich wie tänzerisch vertraute Ensemble-Größen sind auch Janine Karthaus, Hanna Linde und Damaso Mendez als moderierende und intervenierende Fabelwesen, während Michael Fernbach den alles in allem doch beneidenswerten Gatten Richard gibt.
Zu Körtes »ästhetischer Partitur der Sinne« tragen zudem Elvira Plenar am Flügel, Leonore Poth mit einem Zeichentrickfilm über die Jungfüchse, Margarete Berghoff (Kostüme) und Wilfried Fiebigs diesmal besonders klingende Bühne bei. »Wie immer ein Gesamtkunstwerk«, kündigt die Regisseurin an. Drunter hat es das E9N ohnehin nie gemacht.