Tour de Force durch die Nacht
Zufälle gebe es meist nur in Filmen, meint der Versicherungsdetektiv in »Suburbicon« (ab 9.11. im Kino). Das stimmt, aber manchmal gibt es sie auch in den Startplänen der Kinos. So handeln gleich zwei Filme, die im November in die Kinos kommen, von einem Brüderpaar, bei dem der eine geistig behindert ist. Allerdings könnten beide Filme unterschiedlicher nicht sein.
Während es in »Simpel« (Kritik rechts) um die Empathie der Zuschauer geht, kann davon in dem Thriller »Good Time« der Safdie Brüder keine Rede sein.
Connie Nikas, der eindrucksvoll von Robert Pattinson gespielt wird, holt seinen geistig zurückgebliebenen Bruder Nick (Co-Regisseur Ben Safdie) unter Gewaltandrohung aus einer Therapiesitzung, nicht um ihn vor dem Psychiater (Peter Verby) zu beschützen, sondern weil er einen Komplizen zu einen Banküberfall braucht. Spätestens da beginnt man sich als Zuschauer über die Rücksichtslosigkeit dieser Figur zu wundern und denkt an die frühen Filme der Coens oder mehr noch an James Grays »Little Odessa« von 1994. (Seither ist es mit den Verhältnissen in Teilen New Yorks weiter bergab gegangen.)
Der amateurhafte Bankraub scheint erst einmal zu gelingen, doch auf der Flucht wird Nick geschnappt. Und Connies Versuche, seinen Bruder freizubekommen, tragen von Anfang an den Makel von Verzweiflungstaten. Seine atemberaubende Tour de Force führt uns im Verlauf einer Nacht durch ein düsteres New York, durch eine Welt, die von Verlierern und Verlorenen bewohnt wird.
Die Beute vom Bankraub besteht aus rotverschmierten Dollarscheinen und ist somit wertlos. Connies Freundin (Jennifer Jason Lee) soll – so die nächste Idee – 10.000 Dollar für die Kaution vorlegen. Der Kautionsvermittler (Eric Paykert), der den Richter noch am Abend anrufen müsste, will zuvor das Geld sehen. Doch die eingesetzte Kreditkarte gibt den Betrag nicht her. Als Connie erfährt, dass Nick ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, versucht er auf eigene Faust eine Entführung. Wie diese aus- und die Geschichte weitergeht, soll hier nicht verraten werden. Nur, dass es zu einem weiteren Raub bzw. Raubversuch kommen wird. Und dieser folgt ebenfalls Murphys Gesetz: »Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.«
Selbst wenn man sich als Zuschauer nicht mit Connie identifizieren will, vermag der Film mitzureißen. Das liegt an seiner fiebrigen Bildsprache, an der Kamera von Sean Price Williams, die nah am Geschehen bleibt, ohne allzu hektisch zu werden, und an der treibenden Musik von Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never, für die er in Cannes prämiert worden ist. Vor allem aber bringt Robert Pattinson unter der realitätsnahen Regie von Josh und Ben Safdie eine fiebrige Energie auf die Leinwand, der man sich nicht entziehen kann. Bis zum Ende fragt man sich, wie sein Connie aus den immer neuen Verwicklungen herauskommen wird. All das macht »Good Time« zu einem Film, den man nicht so schnell vergessen wird.