A loner in a lonely place
Ein Weizen- und-Wolle-Land. Männer, denen die Stallarbeit in den Kleidern hängt. Eine Leere voll flirrender Hitze. Vögel auf den Stromleitungen, wie aus Blech geschnitten. Ein Finger vom Lenkrad hochgereckt, wenn mal jemand entgegenkommt. Durch diese Landschaft fährt Constable Paul Hirschhausen, Hirsch genannt, als er in einen Hinterhalt gerät und beschossen wird. So beginnt Garry Dishers »Bitter Wash Road«. Es ist eine neue Romanfigur für ihn und Disher hat noch nicht entschieden – sagte er mir bei einem Interview – ob Hirsch wiederkommt.
Zwischen 2001 und 2010 sind unter der Ägide von Thomas Wörtche (siehe den Brief von Frank Göhre auf S. 32) beim Zürcher Unionsverlag Garry Dishers Polizeiromane mit dem äußerst interessanten Inspector Hal Challis in sorgfältig schöner Ausstattung erschienen: »Drachenmann«, »Flugrausch«, »Schnappschuss«, »Beweiskette« und »Rostmond«. Die Übersetzung von »Whispering Death« (2013) steht noch aus. Dishers zweiter Held, der Gangster Wyatt, ein würdiger Nachfahre von Richard Starks Berufsverbrecher Parker, hat bei Frank Nowatzkis Verlag Pulp Master einen prima Unterschlupf gefunden. Hier gibt es: »Gier«, »Dreck«, »Hinterhalt«, »Willkür«, »Port Villa Blues«, »Niederschlag«, »Dirty Old Town« und bald die Übersetzung von »The Heat«.
Nun also Hirsch. Drei Stunden nördlich von Adelaide. Im australischen Hinterland. Eines jener Worte, das den Gebrauch in die englische Sprache geschafft hat. Hirsch wurde aus der Stadt dorthin strafversetzt, seine Geschichte entfaltet sich erst nach und nach. Disher, ein ultracooler Erzähler, hält es mit alten Regeln: »Ich liebe das alte Rezept von Wilkie Collins: Bring sie zum Lachen, bring sie zum Weinen, und lass sie warten.«
Seine Bücher entstehen langsam, er schreibt mit der Hand, tariert Erzähllinien und Knotenpunkte aus, geht notfalls für einen Absatz eine Woche spazieren. Manche Passagen in »Bitter Wash Road« lesen sich wie aus hartem Buschholz geschnitzt. Disher war immer schon präzise und knorzig, mit Hirsch legt er noch eine ordentliche Schippe drauf. Hardboiled bekommt hier einen neuen Härtegrad.
Hirsch ist geschieden, ist ein Loner, hat das akzeptiert, macht seinen Job als Ein-Mann-Polizeiposten im Kaff Tiverton, fährt oft 300 km Patrouille an einem Tag, hat den Blick auf dem Horizont. Auch, was seine Zukunft angeht. Die nächste Verstärkung – sein Boss, Sergeant Kropp, und ein paar Constables – ist 40 km weit weg, in Redruth. Dort haben sie ihm klar gemacht, dass er ein »dog« und ein »maggot« sei, ein sturer Hund und eine Made, weil seine Einheit und vor allem deren Führer im fernen Adelaide wegen Korruption drankamen, Hirsch aber als einziger, wenn auch degradiert, unbehelligt blieb. Für Polizistenlogik klar, dass da einer seine Kameraden verpfiffen haben muss. Er wird geschnitten, gedemütigt, bedroht. Irgendwann wird ihn vielleicht eine Kugel erwischen, sagt ihm die Patrone, die er im Briefkasten findet.
Hirsch hat als Polizist nicht mitgemacht, bei dem, was üblich ist – und wovon es auch im Busch eine ländlich brutale Kameraderie-Variante gibt. Das Schicksal wird ihn da noch einmal prüfen. Er hat nicht gesungen, er hat sich herausgehalten, hat seinen eigenen Kodex, und muss nun noch – dies ein Dialogfeuerwerk im Buch – eine dienstliche Anhörung überstehen. Die interne Ermittlung will ihn drankriegen, selbst wenn man dazu Beweise frisiert, wie etwa die 2.500 Pfund, die er in seinem Auto findet. Hirsch lebt nicht sicher – er wappnet sich, bewahrt seine Würde, macht seine Arbeit als Polizist. Ein Stoiker. Eine Figur, die sich einem unter die Haut schleicht.
Disher weiß, dass Außenseiter attraktiv sind. Auch Challis ist so einer, wenn auch gemildert und immerhin mit Ellen, seiner kleptomanischen Kollegin zusammen. Challis sagt einmal: »Ich erkenne, dass ich anders bin, ich bin getrennt von allen anderen. Niemand sagt ›Komm rein zu uns‹, sie sagen ›Bleib da draußen und behüte uns.‹« Die Welt der Polizeiromane mit Hal Challis & Ellen Destry ist gewiss keine heile, die von Hirsch weniger zivilisiert, als hätte Disher Lust auf eine noch dreckigere Polizeirealität gehabt. Sein Boss, Sergeant Bill Kropp, ist ein knüppelharter, erbarmungsloser Drecksack, Gene Hackman an seinem übelsten Tag könnte ich mir als sein filmisches Alter Ego vorstellen oder Robert Shaw (kennt den noch jemand?). »Du bist der neue Polizist. Du kannst mir gar nichts tun. Kropp ist mein Freund«, muss er sich in einer Bar anhören. Ein überfahrenes Mädchen am Highway, als Unfall deklariert, weitere Mordfälle, von Cops erpresste sexuelle Dienste, Aborigines-Bashing, häusliche Gewalt, lokale Prominente, Polizeikorruption, Partys mit Minderjährigen, ein Selbstmord (?) vor allem, der ihn umtreibt – Hirsch ist an keinen friedvollen Ort gelangt.
Drei Wahrheiten gibt es seiner Ansicht nach für die Polizeiarbeit: Die meisten Verbrechen bleiben ungesühnt; die meisten werden nicht mit Forensik sondern per Zufall geklärt; Detektion ist weniger wichtig als das Zusammenpuzzeln von Gerüchten, Beobachtungen, Theorien, Informationsfetzen. Dennoch zählt auch Methode. Also setzt er sich hin und macht Listen: Wen er gesprochen oder verhört hat, wen er verdächtigt, welche harten Beweise es gibt und welche Bauchgefühle, welche Szenarien, welche Übereinstimmungen. Seine unbeirrte Sturheit imponiert allmählich seinem Vorgesetzten. »Du bist ein erstklassiger Schweinehund«, knurrt Kropp. »Und stolz darauf«, gibt Hirsch zurück.
»Sarge« und »Constable« reden sie sich inzwischen an, Kropp kann ihm immer noch nicht verzeihen, dass er einen alten Freund von ihm, eben jenen korrupten Cop in Adelaide, nicht gedeckt hat. Ein Kollege sei das gewesen. Egal, was der gemacht habe, fragt Hirsch zurück. Noch auf den letzten herzrasenden Seiten fauchen sich die beiden an, weiß Hirsch nicht, ob er sich eine Kugel fängt – und dann gibt es eine Volte, dass man die beiden möglichst schnell wieder sehen will. Hirsch, scheint es, wird wohl dort in der Pampa bleiben. »Er war inzwischen halb stolz auf diesen Ort.«