Dichter trifft Maler
Es empfiehlt sich sehr, eine Lupe mit ins Frankfurter Goethe-Haus zu nehmen. Nicht nur weil einige der Radierungen, die dort in der Ausstellung »Goethe und ›Rembrandt der Denker‹« zur Ansicht stehen, nachgerade winzig sind. Die Fertigkeiten des holländischen Meisters eröffnen sich auch auf größeren Formaten wie der Tempelreinigung erst dem genauen Blick, der ganz unabhängig von der Botschaft des hier aggressiv wütenden Gottessohns seine Freude an den Gesichtern selbst der verschreckten Tiere haben sollte.
Doch zurück auf Anfang. Rund 90 Radierungen hat das Museum im Hirschgraben aus den Beständen der Klassik-Stiftung in Weimar für diese Ausstellung besorgt, die der Bedeutung des Malers im Denken und Wirken Goethes Rechnung tragen will. Ihr Titel zitiert die Überschrift eines Aufsatzes von 1832, in dem sich der 81-jährige Dichter – ein halbes Jahr vor seinem Tod – an einer Interpretation des ihm selbst gehörenden Blattes »Barmherziger Ritter« versucht – und sich dabei, wie man erfährt, etwas vertut.
Die meisten der Exponate haben indes nicht Goethe, sondern seinem Chef, dem Weimarer Herzog Carl August gehört, den der Dichter bei dessen Anschaffungen aber beriet. Der Maler ist dem Frankfurter nicht zuletzt durch seinen Vater und den Rembrandt-Hype jener Zeit von Jugend an ein Begriff. Er lebe derzeit »ganz in Rembrandt«, lässt er im Alter von 25 Jahren schwärmerisch seine Schwester wissen.
Die Ausstellung im rechtwinkligen Flur rund um den Arkadensaal des Goethe-Hauses ist zweigleisig angelegt. Die komplette Außenbahn in diesem Bogen ist in thematischer Ordnung dem Maler gewidmet. Sie beginnt mit den Selbstporträts Rembrandts, geht über zu Köpfen und biblischen Motiven, um dann über Genreradierungen zu den faszinierenden Nachtbildern zu gelangen. Nicht einmal von Goethe muss, wer will, sich im Verfolg der Licht- und Schattenkunst des großen Niederländers ablenken lassen.
Auf der Innenbahn aber kommen die beiden Genies zusammen. Hier wird grobchronologisch die lebenslange Beziehung des Dichterfürsten zum Amsterdamer Heros gezeigt. Wir finden Belege des populären Rembrandt-Stils in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die sich auf Personenporträts des Malers beziehenden Physiognomie-Studien des Goethe-Freundes Lavater. Hier wird auch die Radierung »Der Gelehrte in seinem Studierzimmer« als ideelle Vorlage für Faust-Szenen diskutiert. Hier hängt als Leihgabe des Städels auch ein Landschaftsbild mit Kahn, das vor zwei Jahren in »Rembrandt als Landschaftsmaler« zu sehen war. Ausgerechnet in Italien hat der Dichter Rembrandts Motiv für eigene Zeichnungen genutzt. Die Lupe kann man sich in diesem Fall aber sparen.