»Gotteskinder« von Frauke Lodders

Hin und wieder taucht im Fernsehen der Bericht eines Aussteigers bei den Zeugen Jehovas auf. Wer sich von diesen verabschiedet, wird geächtet – von seiner Familie und seinem Freundeskreis, der oft nur aus Gleichgesinnten besteht. Es gehört also viel Mut dazu, eine streng evangelikale Gemeinde zu verlassen. Wie es dort zugeht, welcher Druck auf den Gemeindegliedern lastet, hat die Kasseler Frauke Lodders recherchiert und in einem Drehbuch zusammengefasst, das mit dem Hessischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Nach mehreren Aufführungen und Auszeichnungen auf kleinen Festivals, kommt ihr Film jetzt in die Arthouse-Kinos.

Die Vorortsiedlung, in die uns Regisseurin Lodders führt, macht einen unauffälligen Eindruck. Sie unterscheidet sich von anderen deutschen Siedlungen allerdings in einem Punkt: Die Familien, die dort in gepflegten Einfamilienhäusern wohnen, sind Mitglieder einer ungenannten evangelikalen Gemeinde, die sich streng an die Gesetze der Bibel hält, beziehungsweise an deren ausgewählten Teil. Jesus steht im Mittelpunkt, ihn zu lieben ist Pflicht, liebt er doch jeden Menschen. Und bestraft wird, wer sich der göttlichen Liebe entzieht.
Nur mit der irdischen Liebe gibt es Probleme, besonders bei jungen Menschen in der Pubertät, deren Hormonproduktion auf Hochtouren läuft. Ihnen ist schon ein Kuss verboten. Sex ist erst in der Ehe zugelassen und soll dann nur der Fortpflanzung dienen. Bis dahin gilt das Keuschheitsgebot, das auch durch öffentliche Gelübde im Kreis der Gemeinde in einer Show bekräftigt wird.
Hauptfiguren sind die 17-jährige Hannah (Flora Li Thiemann) und ihr 15-jähriger Bruder Timotheus (Serafin Mishiev). Beide stehen unter der Fuchtel ihres strengen Vaters David (Mark Waschke), der seiner kleinen Tochter eine Ohrfeige gibt, als sie ihm berichtet, sie habe im Kindergarten ein Mädchen geheiratet. Das geht ja gar nicht, verheiratet, selbst spielerisch, werden nur Mann und Frau.
Ganz schlimm trifft es die Familie, als bei Timotheus homoerotische Gefühle zu seinem besten Freund Jonas (Lennox Halm) hochkommen. Diese Regungen werden als besonders sündhaft angesehen und mit allen Mitteln bekämpft. Als sich Jonathan einem Seelsorger anvertraut, muss er sich im therapeutischen Kreis von seinen Gedanken lossagen. Die private Beichte reicht den Fundamentalisten nicht, eine Art Teufelsaustreibung soll Timotheus auf den rechten Weg bringen.
Seine Schwester wird derweil vom gerade zugezogenen Nachbarsjungen Max (Michelangelo Fortuzzi) bedrängt, der sie zu küssen versucht. Auch hier sind drakonische Maßnahmen angesagt. Während Hannah durchaus willens ist, die strengen Regeln der Kirche einzuhalten, wird bei dem aufrührerischen Max hart durchgegriffen. Er wird in einen Transporter gezerrt und ins Gemeindehaus verschleppt, wo man ihn von Hannah abbringen will.
»Gotteskinder« zeigt eine Welt der totalen Kontrolle. Eine Intimsphäre gibt es nicht, die Familie steht unter der Aufsicht der Gemeinde. Der Patriarch trägt die Verantwortung und überwacht seine Kinder. Seine liebevollen Zuwendungen erscheinen in diesem Zusammemhang als reine Heuchelei. An ihm lässt der Film kein gutes Haar.
Bezeichnend für unsere hedonistische Epoche ist, dass alles auf das Thema Sexualität reduziert und auch gleich die hetero- und die homosexuelle Variante durchgespielt wird. Erleichtert kommen wir nach fast zwei schaurigen Stunden aus dem Kino.

Claus Wecker / Foto: © W-Film/Kinescope Film
>>> TRAILER
Gotteskinder
Drama von Frauke Lodders,
D 2023, 117 Min.
mit Flora Li Thiemann, Michelangelo Fortuzzi, Serafin Mishiev, Bettina Zimmermann, Mark Waschke, Karoline Eichhorn
Start: 30.01.2025

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert