Rocky Horror Puppet Show
An Warnhinweisen lässt es das English Theatre Frankfurt selten fehlen, wenn es auf seiner Bühne um adulte Inhalte geht. Für seine jüngste Produktion aber kommt das so hübsch daher, dass es zitiert werden soll. »This play is not for the faint of heart. We wouldn’t recommend it to anyone with an aversion to blood, profanity, or puppets.« Allen mit starken Nerven aber, deren sittliches Empfinden sich weder von Blut, noch von Blasphemie oder gar Puppen ins Wanken bringen lässt, wird ein vergnüglicher Theaterabend garantiert Doch nicht nur diesen hätte ET-Chef Daniel Nicolai zur englischsprachigen Germany-Premiere von Robert Askins‘ »Hand to God« versprechen können, sondern auch einen grandiosen Puppeteer-Actor. Nicolas Hart heißt er und lohnte allein das Kommen, wäre das von Derek Anderson inszenierte Stück nicht ohnehin so umwerfend, dass man es einfach gesehen haben muss.
So viel Lob schon mal vorab für diese South-Park-Puppenvariante von Jekyll &Hyde, die sich nahtlos an das hier gerade beendete Musical fügt. Drei Jugendliche bereiten im Pfarrhaus eines gottverlassenen texanischen Kirchenkaffs unter Leitung der frisch verwitweten Margery (Sarah Waddell) ein christliches Handpuppenspiel für die Gemeinde vor: der tourette-gefährdete Rohling Timothy (Tom Machell), die scheinbar unscheinbare Jessica (Samantha Dakin) und der verschüchterte Jason, Margerys von Papas Tod noch tief betrübter Sohn. Jesus ist mit ihnen, aber nur auf Plakaten und erbaulichen Sprüchen an den Wänden des Heims, als Jason in seiner Handpuppe Tyrone plötzlich ein Sprachrohr für seine heimlichen Gedanken zu finden scheint, selbst solche, von denen er nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Gut für ihn? No, Sir! Denn bald wird klar, dass Tyrone mehr ist als nur Jasons mutiges Alter Ego, das dem Großmaul die Grenzen zeigt und sogar das Ohr abbeißt. Seine Präsenz nimmt wahrlich überhand und offenbart ein Eigenständigkeit, mit der er auch der Mutter, die sich mit Timothy einlässt, dem Pastor (Matt Addis) und der gesamten bigotten Gesellschaft den Kampf ansagt, ohne dass Jason sich dagegen zu wehren wüsste.
Im zweiten Teil sieht das Heim wie eine Gothic-Bude aus, auf den Plakaten wird der Teufel beschworen und die Tür ist mit einem mächtigen »Hail Satan« besprüht. Im Zentrum steht nun Jasons verzweifelter Kampf gegen sein übermächtiges Schatten-Ich, dem erst Jessy mit ihrer Puppe Jolinde eine Wende zu geben weiß, in der sich Sex, Gewalt, Blut und schwarzer Humor glücklich vereinen.
Es ist große Kunst, wie Nicolas Hart die emotionalen Antipoden Jason und Tyrone zu trennen weiß, wenn er den Knaben mit beschlagener Stimme über die Tiraden seiner Puppe ganz verschreckt sein lässt und sich im nächsten Atemzug nicht minder eindrücklich laut herrisch-vulgär gebärdet. Großes Spiel auch, wenn Tyrone den gehemmten Jungen an den Ohren packt und ihm den Kopf zurechtrückt. Zum Brüllen gar die Szene, in der Jason und Jessy mit Tyrone und Jolinde wie beiläufig die Hardcore-Variante des Puppenkamasutra exerzieren, während die beiden selbst, befangen wie ehedem, nur mühsam Worte füreinander finden. Ein tolles Erlebnis, zu dem der gesamte technische Stab mit Licht (Zia Begin-Holly), Raum (Rachel Stone) und Sound (Hendryk Dingler) beiträgt.