»Hedis Hochzeit« von Mohamed Ben Attia

Vom Erwachsenwerden

Nein, in diesem Film geht es nicht um die Zwangsheirat einer minderjährigen Tunesierin. Hedi (das Wort bedeutet »ruhig, gelassen«) ist ein junger Mann, und zur Heirat wird er von seiner verwitweten Mutter mehr oder weniger sanft getrieben. Sie hat auch selbst die Braut für ihren Sohn ausgesucht.

Der antriebsschwache Hedi fügt sich in sein Schicksal, selbst die Initiative zu ergreifen ist seine Sache nicht. Hinzu kommt, dass Khedija, die blutjunge Frau, die er heiraten soll, eine Schönheit ist. Sie schaut auf zu ihrem Bräutigam, so lehrt es die Tradition. Alles gut, möchte man meinen, doch bei genauerem Hinsehen kann man die ersten Sollbruchstellen erkennen.
Denn Hedis Welt ist keineswegs in Ordnung. Er arbeitet als Verkäufer in einem Autohaus, der Chef ist mit seinem Einsatzwillen nicht zufrieden. Weil die Geschäfte schlecht laufen, schickt er Hedi zu den Kunden, um für den Kauf neuer, gerade ausgelieferter Modelle zu werben. Nach einigen vergeblichen Versuchen zieht es den lustlosen Außendienstler allerdings an den Strand, wo er das Treiben von Einheimischen und Touristen beobachten kann. In dem Hotel am Meer lernt er die attraktive Animateurin Rim kennen, zu der er sich auf Anhieb hingezogen fühlt. Weil sie, die weltgewandte, erfahrene Frau, seine Schüchternheit anziehend findet, kommt es zu einer Affäre, offenbar der ersten für Hedi.
Derweil gehen die Hochzeitsvorbereitungen in die Endphase, der ältere Bruder kommt aus Frankreich, wo er eine Familie gegründet hat. Bei einem heimlichen Treffen mit der blutjungen Braut klagt Hedi, dass sie sich ja gar nicht kennen würden, traut sich aber nicht, der Erschrockenen reinen Wein einzuschenken. Doch der Hochzeitstermin und Rims nächster Einsatz in Europe zwingen ihn, den Zurückhaltenden, schließlich zu einer Entscheidung.
Hedi-Darsteller Majd Mastoura war die Entdeckung der diesjährigen Berlinale. Er wurde mit dem Silbernen Bären für den Besten Darsteller ausgezeichnet. Nicht weniger überzeugend ist auch die attraktive Rym Ben Messaoud als Rim, der man die magnetische Wirkung auf Hedi (und nicht nur auf ihn) sofort abnimmt.
Regisseur Mohamed Ben Attia schildert seine Heimat als ein Land im Ungewissen nach dem »arabischen Frühling«. Es haben zwar demokratische Wahlen stattgefunden, doch der große Aufbruch war nur von kurzer Dauer. Jetzt droht der Rückfall in traditionell-islamische Strukturen. »Ursprünglich wollte ich die Geschichte eines jungen Mannes erzählen, der zwischen zwei Welten hin- und hergerissen ist, die jeweils sein Leben bestimmen könnten«, äußert sich Ben Attia im Presseheft. Die Qualität seines Films besteht allerdings darin, dass er über die politische Situation hinausweist. Vielleicht werden auch nur Tunesier und Tunesienkenner das Metaphorische in diesem sensiblen Porträt eines Getriebenen bemerken. Denn »Hedis Hochzeit« erzählt vor allem eine beeindruckende Geschichte vom Erwachsenwerden.

Claus Wecker
HEDIS HOCHZEIT (Inhebbek Hedi)
von Mohamed Ben Attia, Tun/B/F 2016, 88 Min.
mit Majd Mastoura, Rym Ben Messaoud, Sabah Bouzouita, Hakim Boumessoudi, Omnia Ben Ghali
Drama
Start: 22.09.2016

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