Im Angesicht des Todes – die Sonderausstellung im Jüdischen Museum

Das Thema rührt an ein Tabu, an etwas, mit dem man sich nur schwer beschäftigen möchte, und fordert doch stets dazu heraus, mit ihm umzugehen. Einen Tabubruch nun möchte das Jüdische Museum begehen und versammelt in seiner neuen multimedialen Sonderausstellung Aspekte, Perspektiven, Historisches, Aktuelles und natürlich auch die künstlerische Beschäftigung mit dem Tod und dem Prozess des Sterbens aus jüdischer Perspektive. Es soll dabei aber nicht nur um den Tod, sondern auch um das Leben gehen, so wie man sich auf einer Beerdigung mit der Formel verabschiedet, dass der nächste Anlass eines Zusammentreffens ein freudiger sein möge. Die lose assoziierten Erzählstränge sind klug in einer Art Labyrinth aus lehmfarben gestrichenen Wänden gebündelt, das immer wieder kleine Nischen, Auswege, Umwege zulässt und die Exponate auch als Ganzes betrachten lässt – nicht nur innerhalb einer thematisch festgebundenen Struktur, die sie natürlich auch hat. Es spiegelt darin vermutlich genau die eigenen Gedankenbahnen, die sich vor- und zurückbewegen. Das ist zunächst etwas befremdlich, aber das Mäandernde kommt dem Thema auch sehr nahe. Das Labyrinth hat das Offenbacher Künstlerkollektiv YRD.works geschaffen, und von oben strahlt ein helles Licht.
Wie nun hat das Judentum seine eigenen Vorstellungen vom Tod entwickelt, wie haben sich Rituale und Praktiken der Bestattung und der Trauer herausgebildet und auch Vorstellungen von einer künftigen Welt? Die Ideen wurzeln in gemeinsamen Glaubensvorstellungen, reflektieren jedoch auch regionale Kulturausprägungen der Umgebung und transformieren sie.
Das Fest zu Pessach, das dem Auszug aus dem Sklaventum in Ägypten feiert, steht gleich zu Beginn, eigentlich ein Fest der Freude, aber es bedeutet auch Vertreibung, Leid und Tod. In der Bebilderung der aus dem 18. Jahrhundert stammenden, kostbar handgemalten und illustrierten Schriften der Haggada, die zum Seder, dem Abend vor Pessach, in der Familie gelesen werden, taucht stets der Todesengel mit der Sense auf. An der Scheide klebt ein Galletropfen, der den Übergang zum Tod illustriert. In diesen Zusammenhang hat das Kuratorenteam Sara Soussan, Erik Riedel und Dennis Eiler den »Triumph des Todes« von Felix Nussbaum platziert, das letzte Gemälde, das der jüdische Maler vor seiner Verhaftung und Ermordung in Ausschwitz im August 1944 noch in Belgien fertigstellen konnte. Es zeigt den bitteren Tanz mit dem Tod auf einer zerstörten Landschaft, Skelette musizieren auf den Zeugnissen einer zertrümmerten Kultur. Die Farben sind erdig, grau, dumpf. Auch Gemälde und Zeichnungen von Else Meidner sind hier zu sehen, die sich allesamt mit dem Tod und dem Todesengel beschäftigen.
Drei Zeichnungen der in der vorvergangenen Sonderausstellung »Zurück ins Licht« geholten Rosy Lilienfeld zeigen unter anderen den »Baalschem auf dem Totenbett« in ihrer ganz eigenen, tief intensiven, gleichzeitig märchenhaften Zeichensprache. Sie findet sich im zweiten Themenkomplex wieder, der um das »Sterben« kreist, um den richtigen Zeitpunkt, die Verlangsamung oder Beschleunigung des Sterbens. Ein zartes besticktes Gewebe aus transparentem Seidenorganza von Jacqueline Nicholls aus dem Jahr 2012 erzählt eine ganze Geschichte dazu: eine Magd versucht, ihrem Rabbiner das Sterben zu erleichtern, nachdem sie sieht, wie sehr er leidet. Interviews mit Besucher*innen der historischen Friedhöfe – den im jüdischen Sinn guten Orten – in der Battonn- sowie der Rat-Beil-Straße und ein Komplex zum Thema Organspende beleuchten das Thema aus anderen Blickwinkeln.
Diese assoziative Herangehensweise öffnet den Horizont auch für künstlerische Interpretationen, beispielsweise beim Kaddisch, den Trauergebeten, die zu sprechen üblicherweise Männern vorbehalten sind. Hier hören und sehen wir eine Videoproduktion, in der Frauen dies übernehmen. Wir sehen die einfachen weißen Leinengewänder, in denen die Verstorbenen gehüllt werden, die schlichten Särge. In der Videoinstallation »My father in the Cloud« lässt Ruth Patir ihren Vater als Avatar wiederauferstehen. Und mittendrin im Labyrinth steht ein Pavillon mit der Rauminstallation „From TODT to Grand Arénas“ von Ilana Salama Ortar, der Trauer und Gedenken evoziert, in dem sie unter anderem Glasbehälter mit verbrannten Papieren zeigt. An der gegenüberliegenden Wand erinnert Yonatan Sindel an das Massaker des 7.Oktober 2023. Man sieht einen DJ, der vor den Porträtfotos der Ermordeten und Entführten des Nova Festivals ein Konzert gibt.
Zum Abschluss setzt sich die Ausstellung mit den Vorstellungen zur kommenden Welt, Olam Haba, auseinander. Wartet ein Paradies, ein Garten Eden? Welche Stationen durchwandert die Seele? Werden es düstere Schattenwelten sein, Bestrafungen? Sich abwechselnde Leuchtschriften auf dunklem Untergrund füllen eine Wand dieses Raumes. In zarteren Buchstaben werden diese Stationen erklärt. Die schönste ist einwandfrei: »Schabbat, Sonne und Liebesleben«.

Susanne Asal
Foto: Else Meidner: Frauenakt mit Todesengel
© Ludwig Meidner-Archiv/Jüdisches Museum Frankfurt,
Foto: Herbert Fischer
Bis 6. Juli 2025: Di.–So., 10–18 Uhr
www.juedischesmuseum.de

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