»In letzter Zeit Wut« am Kammerspiel Frankfurt

»Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt — erregt — erschüttert — beglückt.« Dieses Glaubensbekenntnis verfasste Nikolaus Harnoncourt anlässlich der 75-Jahrfeier der Salzburger Festspiele, und ja; jedes Mal, wenn man eine Inszenierung sieht, dann wünscht man sich genau das, man wünscht sich schon beim Kartenkauf, das so etwas mit einem passiert.
Christina Tscharyiski hat sich nach ihrer fabelhaften Inszenierung von Else Lasker-Schülers »IchundIch« jetzt zum zweiten Mal im Kammerspiel Frankfurt präsentiert. Diesmal schlug sie vor, »Die Frauenvollversammlung« von Aristophanes (444 v.u.Z.–380 v.u.Z.) und somit aus der Feder einer der ältesten aller alten weißen Männer, einem neu zu schreibenden Stück zugrunde zu legen. Die österreichische Autorin Gerhild Steinbuch griff zu und hat trotz einer »dermaßen blöden Ausgangslage«, wie sie sagt, den Theatertext geschrieben.
Da gebe ich ihr völlig Recht, die Ausgangslage ist tatsächlich dermaßen blöd: In dem von Aristophanes porträtierten Machtgefüge haben Frauen weder Zugang zu parlamentarischen Gremien noch zu politischen Entscheidungsfunktionen, und so betäuben sie ihre Männer, verkleiden sich und kapern das Parlament, wo sie zu neuen gesellschaftlichen Regeln aufrufen. Sie haben genug von mörderischen Kriegen, von Habgier, von dem ganzen Geflecht männlicher Hierarchien und frauenfeindlichem Denken. Sie rufen zu Solidarität, einer egalitären Gesellschaftsstruktur und gemeinschaftlich verwaltetem Besitz auf, einer Art Präkommunismus. Und auch dazu, dass jeder Mann erst mit einer hässlichen Frau schlafen muss, bevor er das mit einer hübschen darf. Doch leider scheitern die Frauen an der Umwälzung der Verhältnisse, die auch in einer egalitären Gesellschaft stets autoritär und hierarchisch sind, wie Aristophanes unterstellt. Denn wer macht den Dreck weg, es muss ja einer den Dreck wegmachen? Die Sklaven?
Damit gibt Aristophanes seine Komödienkonstruktion einer von Frauen erdachten Gesellschaftsform dem Gelächter der Männer preis: seht her, Frauen können es auch nicht besser. Ein Projekt also, das die Herrschaft stabilisiert.
»In letzter Zeit Wut«, dem Stück, das Gerhild Steinbuch nun verfasst hat, ist es der plakativ selbstverliebte Isaak Dentler, der nach anderthalb Stunden Spielzeit im Kammerspiel sagen darf: »Da hätte ich mir mehr erwartet«.
Ja ehrlich gesagt, ich mir auch. Aristophanes umschreiben, neu denken, das ist ja eigentlich eine Steilvorlage! Und was man aus dem Text von Gerhild Steinbuch herausfiletieren kann, ist schon ziemlich sensationell. Vier Frauen im prekären Angestelltenverhältnis müssen das Netz nach verbotenen Bildern durchforsten und diese dann löschen. Selbstverständlich haben sie einen Chef, den ganz schrecklich softigen Feministen Horst, Vollhorst, Mr. Nice (Isaak Dentler), der ihnen einen Kaffeeautomaten als sozialen Wärmeplatz hinstellt, und ansonsten knallen sie uns das vor den Latz, was sie zu sehen bekommen: Penisse, Penisse, Penisse, fette Männer auf kleinen Mädchen, verbrühte Kätzchen. Man wünschte sich so sehr, dass die Schauspielerinnen da einmal innehalten, damit man diese Entsetzlichkeit verspürt, aber es geht gleich weiter, zum extremen Selbsthass, der sich im permanenten Kotzen äußert, dem Kotzen auf sich selbst, weil man den gängigen Schönheitsstereotypen nicht entspricht, dem Kotzen auf Männer, auf die Arbeit, die man zu verrichten hat.
Es sind so viele Facetten von Hass, von Zerstrittenheit, von vergeblichen Aufrufen zur Solidarität, von Entsolidarisierung, dass sich in diesem ganzen herausgebrüllten Gewirr von Sätzen nur ein Sinn herausdestillieren lässt: die Gleichzeitigkeit der unzumutbaren Zumutungen. Das Geflecht gesellschaftspolitischer Zustände ist festgezurrt, aus dem Selbsthass entstehen die Bilder, die Bilder werden zur Gewalt, der plötzlich den Diskurs bestimmt, auch dem eigenen Körper gegenüber.
Als Utopie aus der Ferne, blüht plötzlich Amazonien auf, der Staat der Amazonen, und diese Idee wird inszenatorisch sofort von Dschungelfarnen in den Türöffnungen paraphrasiert, aus dem Melanie Straub mit einem Speer und alle anderen mit Brustpanzern hervortreten. Melanie Straub, Sarah Grunert, Katharina Linder und Tanja Merlin Graf nämlich haben eine Uhr ergattert, mit der sie die Bilder anhalten, die Geschichte hacken und sie umdefinieren können, und diesmal aus feministischer Sicht. Doch auch das – leider – führt zu nichts. Sie bleiben bei jedem neuen reboot an ihren Plätzen fest geklebt und in ihrer Bewegung versteinert. Denn, so könnte man bilanzieren, auch wenn der feministische Staat alle glücklich macht, machen will, bleibt die Frage bestehen, s.o.: Wer macht den Dreck weg?
Das Bühnenbild ist eine Mischung aus Antikenarena und Büroalbtraum, mit Handabdrücken an den Wänden wie in Steinzeithöhlen, mit Strichen wie in einer Gefängniszelle, schon klar: die Machtstrukturen bestehen seit vorsintflutlichen Zeiten. Was sie ja auch tun.
Von den vier Schauspielerinnen geben Katharina Linder und Tanja Merlin Graf ihren Rollen eine lesbare Kontur, Melanie Straub und Sarah Grunert sind aufs plakative Brüllen abonniert, und das ist schade, denn damit verliert sich ihre Botschaft.
Es ist aber auch so: wenn alles so hochdramatisch und damit letztendlich entdramatisiert daher kommt, auch der gröbste Schrecken zersplittert, dann schwindet auch die Aufmerksamkeit des Zuschauers, und kein noch so kluger Satz bleibt im Gedächtnis. Es ist riskant, Gesellschaftskritik mit den Mitteln zu betreiben, die man angreifen will, sinnloses bla, bla, bla als sinnloses bla, bla, bla zu zeigen, Gespräche, die herausgeblaffter Thesenhaftigkeit und kaum reflektierten Werbebotschaften immer ähnlicher werden, als solche, – ja was – zu diskreditieren? Den Zustand hoher Erregung, von Talkshows hierzulande genüsslich bis zur Absurdität gepflegt – künstlich hoch zu halten. Beim Betrachten stumpft man ab, das ist ganz normal, soll man das? War da was?

Susanne Asal (Foto: © Felix Grünschloß)

Termine: 16., 17. Februar, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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