Sehn’ wir das recht, dann fällt der Part des Schauspiels bei den diesjährigen Internationalen Maifestspielen in Wiesbaden nicht allein größer, sondern auch gewichtiger aus als in den vergangenen Jahren, gleichwohl sich die Genregrenzen immer häufiger vermischen. Ein Beispiel für den Mix von Tanz-, Musik- und Sprechtheater sind seit jeher Inszenierungen von Regisseur Falk Richter, der mit gleich zwei Produktionen prägend für die kuratorische Handschrift der neuen Wiesbadener Intendanz unter Beate Heine und Dorothea Hartmann steht. Zwei »unter die Haut gehende«, so die Ankündigung, Arbeiten sind von ihm anberaumt. Die erste war vorab bereits im Februar zu sehen. »Die Freiheit einer Frau« bringt Edouard Louis’ Porträt seiner Mutter Monique Bellegeule mit der großartigen Eva Mattes im Zentrum und einer nur mit Frauen besetzten Rockband unter Leitung von Bernadette La Hengst auf die Bühne des Großen Hauses. Die 2022 für das Thalia Theater Hamburg realisierte Produktion hat Falk Richter für die Maifestspiele eigens mit dem Wiesbadener Ensemble besetzt, wobei Sandrine Zenner die junge Monique Bellegeule gibt und Maria Wördemann als bourgeoise Freundin Moniques mit einer Interpretation von Kate Bushs »Wuthering Heights« besticht. Für das Strandgut hat Stefan Michalzik im Märzheft die Aufführung besprochen. Gezeigt wird sie am 30., 31 Mai, 19.30 Uhr. Die beste Nachricht: Für fast alle Vorstellungen gibt es noch Karten.
Autofiktional ist (unter etlichem anderem im Programm) auch das zweite Stück Richters »The Silence«, ein Gastspiel der Schaubühne Berlin. Hier thematisiert der Regisseur seine eigene Familiengeschichte und ist dabei in einer Videoeinspielung im Gespräch mit seiner Mutter zu erleben. Auf der Bühne allerdings schlüpft Dimitrij Schaad in seine Rolle. Der Schauspieler wurde für seine beeindruckende Leistung mehrfach ausgezeichnet, unter anderem als Schauspieler des Jahres 2024. (22. Mai, 19.30 Uhr)
Ein Highlight des Festivals ist fraglos auch Karin Henkels »Hamlet«. Das Gastspiel des Wiener Burgtheaters präsentiert uns einen fünfgeteilten Hamlet in allen Schattierungen mit Starbesetzung (9., 10. Mai, 19.30 Uhr). Ein Schauspielstar ist längst auch die Wiesbadenerin Gala Othero Winter, deren zarte Anfänge beim Theater Willy Praml in der Frankfurter Naxoshalle unter anderem als Ev’chen in Kleists Krug und Diotima in Hölderlins Hyperion wir noch gut erinnern. Nach vielen Jahre am Schauspielhaus Hamburg ist sie nun am Theater Basel engagiert. Unter der Regie von Antu Romero Nunez findet Winter sich in »Achilles – ein Stück mit Fersen« als Titelheld im Hades ein, um »frei nach Homer« über Heldentum und Bedeutungslosigkeit zu sinnieren. Ihr Bühnenpartner ist der den Odysseus gebende Kollege Jörg Pohl. (13. Mai, 19.30 Uhr)
Ohne Umwege in das Heute eines nicht-binären Protagonisten führt Leonie Böhms Adaption von Kim de l’Horizons mit dem Deutschen Buchpreis 2022 bedachter Erzählung »Blutbuch«, die vom Schauspielhaus Zürich kommt. The Artist is present – der Autor steht dabei mit vier Schauspielern des Theaters auf der Bühne. Das auf »Blutstück« getaufte Bühnenwerk ist zum Theatertreffen geladen und wird landauf, landab nachgespielt. Termine: 7., 8. April, 19.30 Uhr.
Uraufgeführt wird zu den Maifestspielen »Futur4« von Rimini-Protokoll, dokumentarisches Theater mit sogenannten Alltagsexperten, das die Familiengeschichte einer in den 70ern eingebürgerten Siebenbürgerin aus Rumänien befasst und für Nachverfolgung wie Zukunft ihres Lebenslaufs künstliche Intelligenz einbezieht. (3., 5. Mai, 19.30 Uhr; 4. Mai ,18 Uhr)
Auf ungarisch – mit deutschen und englischen Untertiteln – wird das mit dem Nestroy-Preis 2024 ausgezeichnete Stück »Parallax« gezeigt. Aus Australien kommt mit dem Back to Back Theatre, eine der weltweit führenden integrativen Theatergruppen, die mit Menschen mit Behinderungen arbeitet. Ihr Stück »The Shadow whose Prey the Hunter becomes« setzt auf humorvolle Weise bei persönlichen Erfahrungen an.
Auf der Wiesbadener Studiobühne werden von jungen Autoren postmigrantische Themen gesetzt.
»Landsfrau« von Mariann Yar, die kürzlich noch in der Naxoshalle und am Staatstheater Darmstadt zu sehen war, thematisiert das Schicksal einer deutsch-afghanischen Frau, die mit dem letzten Evakuierungsflug der Bundeswehr aus ihrer Heimat kam. (4. Mai, 18.30 Uhr) »Utopia is now« setzt sich mit den Folgen eines rechten Regierungswechsels für das Theatermachen auseinander (6. Mai, 19.30 Uhr). Und in »Migrant Migraine« lässt die performende Kroatin Tina Keserovic ihr rappendes Alter Ego BB*Tina auf die Besucher los. BB steht dabei für BalkanBastard. (5. Mai, 20 Uhr)
Aus dem Fundus der eigenen Produktionen bereitet das Staatstheater das wunderbare Stück »Er putzt« besonders auf, indem es der Aufführung eine Lesung der Autorin und Bachmann-Preisträgerin Valeria Gordeev vorausschickt. (16. Mai, 18.30 und 19.30 Uhr) Im Februar-Strandgut haben wir die wohl am meisten überraschende Inszenierung dieser Saison in der Landeshauptstadt besprochen.
Internationale Maifestspiele Wiesbaden: Karten gibt es noch für fast alle Veranstaltungen
