Ein Briefroman, 1793/94: Friedrich Hölderlins erfundene Briefe Hyperions, »der Eremit in Griechenland«, an den Freund Bellarmin bilden die Textgrundlage der szenischen Inszenierung Michael Webers in der Naxoshalle. Bellarmins Antworten können wir nur erschließen, ebenso die Figuren der geliebten Diotima und des in den Briefen häufig erwähnten Freundes Alabanda.
Ein Baum auf dem Bühnenboden – oder ist es eine Säule? –, die Wurzeln zum Publikum – rechts ein etwas mitgenommener Reisebus – griechische Säulen liegen oder stehen im Hintergrund – Athen? Ein Vorhang, der zunächst nur die Füße der Personen sehen lässt und dann vier gleich gekleidete Hyperions, alle in rotbraunen Röcken, mit Bärten, Männer? Frauen? Bärte? Androgyne? Und dann der Text: »Eins zu sein mit Allem, was lebt«, vielsprachig – syrisch, slowakisch, spanisch, deutsch. Hintergrunds-Herkunft der Darsteller entsprechend? Muawia Harb, Jakob Gail, Birgit Heuser und Anna Staab verkörpern in der Premiere unter der Regie von Michael Weber diesen multiplexen Kosmos in nur einem, also vielseitigem, Hyperion. Ein Durcheinander der Textverteilung im Raum bringt Bewegung und bleibt doch verständlich: das »zerrissene Volk der Deutschen« vielleicht? Eine Rose wird weitergereicht und taucht später nochmal auf, die Liebe? Eine Schubkarre wird zum Transportmittel zum Meer, dessen Wasser aus Eimern evoziert wird: »jede Regenpfütze ist das Meer«. Und der Tod – ein toter Fisch?
Der nicht mehr ganz fahrtüchtige Bus wird zum Spielplatz des Lebens, außen, innen und auch auf dem Dach: »Es ist Zeit, dass ich weggehe«, meint Hyperion, denn auch wenn ihn der »Schiffbruch der Welt« – von verzerrter Musik untermalt – nicht kümmert, der Krieg Griechenlands gegen die Türken soll die Motivation des Reisens ergeben – somewhere over the rainbow mit Judy Garland eben.
Soweit die Handlungsstränge in den Briefen Hyperions aus dem imaginierten Smyrna an seinen Freund Bellarmin: Befreiungskrieg Griechenlands einerseits, und die unerfüllbare Liebe zur verheirateten Diotima, eine ebenfalls anders benannte Schlüsselfigur in Hölderlins wirklichem Leben, das im wie immer hoch interessanten Programmheft skizziert ist, bilden die Grundlage der Motivation.
»Zur Sonne! Zur Freiheit!« Reminiszenz an eine ebenfalls vergangene soziale Bewegung, ursprünglich gesungen von russischen politischen Gefangenen auf dem Marsch in die sibirische Verbannung, wurde in der Bearbeitung Hermann Scherchens, dem Leiter eines Arbeiterchors in den 20er Jahren, fast zum Schlager nicht nur des Sozialismus (in der DDR kannte das jeder). »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« eben. Gustav Mahlers Musik schwebt ebenfalls durch den Raum. Und wie wäre der Schluss zu deuten: eine riesige gold-schwarz-rot- und nochmal goldene Fahne.
»Nächstens mehr« sind die Schlussworte.
Friedrich Hölderlin am Theater Willy Praml
