Jan-Christoph Gockel inszeniert Upton Sinclairs Roman »Öl« spektakulär im Schauspiel Frankfurt

Einen 700-Seiten-Wälzer in passable Kost für Film- und Theaterbesucher zu verwandeln, stellt eine hohe Herausforderung dar. Dem amerikanischen Filmregisseur Paul Thomas Anderson gelang dies bei seiner Version von Upton Sinclairs Roman »Öl!« 2007 dadurch, dass er sich für »There will be blood« nur lose an der ursprünglichen Geschichte um einen Ölmagnaten und dessen Sohn entlang hangelte. Das Verhältnis zwischen dem Unternehmer und einem verrückten Geistlichen wurde als Duell auf Leben und Tod zwischen Geld und Glauben in den Fokus gerückt und der zweite Teil des Buches, der in Hollywood spielt, überhaupt nicht berücksichtigt.
Jan-Christoph Gockel, vorher in Mainz, inzwischen an den Kammerspielen München beruflich zuhause, geht bei seinem dritten Regiegastspiel am Frankfurter Schauspiel einen ganz anderen Weg. Er bettet die dreckigen Geschäfte der Kapitalisten und die gnadenlose Ausbeutung ihrer Arbeiter aus der Vorlage in eine glamouröse Filmpremiere ein. Eine Verquickung, die der Wahrheit entspricht, beeinflussten die Bonzen rund um den Ersten Weltkrieg doch munter Politik und Showbusiness. Eine stringente Handlung gibt es hier nicht, Zeitebenen überlappen sich, Realität und Illusion verschwimmen. Selbst die Darsteller verlieren manchmal den Überblick darüber, wo sie sich gerade befinden. Vom Streik der Angestellten in der schmierigen Industrie lässt das Bühnenpersonal sich zu einer demonstrativen Pause während des drei Stunden langen Abends motivieren, während der das Publikum auf seinen Sitzen ausharrt.
Nebenbei zeigen Gockel und sein Team, was Theater heutzutage alles kann. Videosequenzen, teilweise vor dem Haus oder auch drinnen, im Foyer oder an der Panorama-Bar, live aufgenommen, verschmelzen mit dem, was direkt vor den Augen der Zuschauer, rund um einen See aus schwarzem Gold, passiert, zu einer schrägen Einheit. Der schon abgenutzte Begriff der Spielfreude bekommt hier neues Leben eingehaucht. Effekte wie Stroboskopblitze und Regen ergänzen das Erlebnis.
Gleich der Auftakt ist spektakulär. Die Besucher stoßen noch vor Betreten des Gebäudes auf eine Fotowand, einen roten Teppich und einen abgewrackten Oldtimer. Dem Text nach würde der selbstherrliche Selfmade-Millionär J. Arnold Ross mit seinem schüchternen, sozialkritischen Sohn Bunny in diesem durch die Landschaft rasen. Stattdessen müssen Wolfram Koch, hier mit Cowboyhut, langem Mantel und der gewohnten Präsenz, und der wacker agierende Torsten Flassig erst mal geduldig schieben, um ihr Vehikel über einen Aufzug auf der Bühne in Stellung zu bringen. »Früher war bei Premieren auch mehr los«, stellt Ross alias Koch mit ausladender Geste fest. Da lagen die Ölpreise aber auch noch nicht so hoch, dass selbst jene, die davon leben, sich die Rasanz im eigenen Leben nicht mehr leisten konnten. Alles ist zum Stillstand gekommen, nur der Klimawandel nicht. Von den riesigen Leuchtbuchstaben, die mal das Wort »Hollywood« ergaben, sind aufgrund eines Mangels an natürlich nachwachsendem Baummaterial nicht mehr alle vorhanden. Oder ist „Holyod“ als Zeichen des allgemeinen Niedergangs zu interpretieren?
Am Ende gehen die Bankentürme Frankfurts selbst als Wahrzeichen des Wohlstands in Flammen auf. Mancher könnte den Gedanken haben, dass auch das hoffentlich nur bestechend gut gemachtes Theater ist.

Katja Sturm (Fotos: © Thomas Aurin)

Termine: 7. November, 18 Uhr; 12. November, 19.30; 21. November, 16 Uhr,
www.schauspielfrankfurt.de

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