Das Staatstheater Mainz zeigt Ödön von Horváths »Glaube Liebe Hoffnung«

Was haben Schlager in Stücken Ödön von Horváths zu suchen? Eigentlich nichts. Und so ist man als Zuschauer zunächst irritiert, als Nicoles Debüt-Hit »Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund« (1981) zu Beginn der Aufführung ertönt, wenn auch sensationell vorgetragen von der Hauptfigur Elisabeth (Maike Elena Schmidt). Doch der Schlager zieht sich wie ein roter Faden durch »Glaube Liebe Hoffnung«, das Jan Friedrich am Mainzer Staatstheater inszeniert. Ob Roger Whittaker, Vicky Leandros oder Die Flippers, die Schlager bilden die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen und konterkarieren, parallelisieren oder kommentieren diese. Sie passen insofern hervorragend in das Drama, als sie Allgemeingültigkeit besitzen und zeitlos sind. Genau wie das Thema, das, wie so oft bei Horváth, den Kampf des Individuums gegen die Gesellschaft darstellt.
In der Absicht, ein Stück gegen »die bürokratisch-verantwortungslose Anwendung kleiner Paragraphen zu schreiben«, verfasst er 1932 zusammen mit dem Gerichtsschreiber Lukas Kristl den »kleinen Totentanz«, wie der Untertitel lautet. Die Hauptfigur, die arbeitslose Elisabeth, befindet sich in einer Notlage: Sie braucht Geld für einen Wandergewerbeschein und versucht daher schon zu Lebzeiten ihren Leichnam ans anatomische Institut zu verkaufen. Dabei gerät sie in die Klauen der »kleinen Paragraphen«, aus denen ihr auch die Liebesbeziehung zu einem Schupo, dem Polizisten Alfons Klostermeyer (Daniel Mutlu) nicht heraushilft. Trotz ihrer unbeirrbaren Hoffnung auf Besserung scheitert Elisabeth an den Konventionen und der kleinbürgerlichen Prinzipientreue ihrer Zeit und nimmt sich am Ende das Leben.
Das Bühnenbild (Louisa Robin) passt zur ausweglosen Situation: Wenig Beleuchtung, düstere Atmosphäre. Still thronen Kreuze in allen möglichen Variationen über dem Geschehen. Quadratische schwarze Rahmen mit transparenten Folien dienen als Kulisse der einzelnen Bilder, die wiederum durch Videoprojektionen verzerrt oder verfremdet werden. Die grellen Kostüme der Figuren (ebenfalls Jan Friedrich) stehen hierzu im Kontrast. Was besonders ins Auge sticht: Bis auf Elisabeth tragen alle Figuren comic-gleiche, fratzenhafte Masken. Wir sehen in Gesichter, die keine Gefühle erkennen lassen. Während Elisabeth noch mit dem Tode tanzt, sind alle um sie herum schon seelisch tot.
Trotz Schlager, schrillen Kostümen und viel Kameraeinsatz gelingt es Friedrich, dass auch die Sprache Horváths nicht zu kurz kommt: Im Gegenteil: Sie steht im Zentrum der Aufführung. Die Figuren reden in Floskeln, oft aneinander vorbei, das Wesentliche ist als Versprecher oder im Subtext getarnt. Horváth selbst spricht von »Bildungsjargon«: Kleinbürger versuchen mittels Sprache ins Bürgertum aufzusteigen. Ein sinnloses Unterfangen, denn »der Mensch ist halt Produkt seiner Umgebung« (Boris C. Motzki), wie es im Programmheft heißt. Dabei soll niemand ins Lächerliche gezogen, sondern die Ausweglosigkeit jedes Einzelnen dargestellt werden. Angesichts der heutigen sozialen Not büßt das Stück nichts an Aktualität ein. Ein gelungener Abend mit Ohrwurmcharakter.

Verena Rutkowski (Foto: © Andreas Etter)

Termine: 1. November, 18 Uhr; 17., 19. November und 28. Dezember, 19.30 Uhr
www.staatstheater-mainz.de

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