Im Tollhaus kriegt der Affe Zucker
Wir wollen der Mainzer Intendanz nicht unterstellen, dass »La Cage aux Folles« als parteiische Begleitmusik zur gerade durchgewunkenen »Ehe für Alle« gedacht war. Eine Aufführung des in den 70er Jahren von Jean Poiret geschriebenen Boulevard-Stücks, dessen Verfilmung (1978) zu einem Welterfolg wurde und den »Hello Dolly«-Komponisten Jerry Herman zu seinem gleichnamigen Musical (1983) inspirierte, lohnt sich immer.
Denn »La Cage aux Folles« ist purer Broadway: schmissige Tänze, Ohrwürmer (»I am what I am«) und eine berührende Handlung. Und wer sich daran erinnert, dass Helmut Baumanns Inszenierung der deutschen Erstaufführung 1985 im Theater des Westens der New Yorker Uraufführung in nichts nachstand, ja, sie sogar an Dynamik überbot, der war sehr gespannt, als in Mainz der Chef des St. Tropez Nachtclubs »La Cage aux Folles« das Publikum beschwor: »Öffnen Sie ihre Augen!«
Doch die Vorfreude bekommt gleich einen Dämpfer: denn die acht »Cagelles«, die sich da in einem halboffenen (Vogel-)Käfig mehr oder weniger lasziv räkeln, werden durch die allzu weit im Hintergrund installierte (Dreh-)Bühne förmlich ausgebremst. Ehe sie sich bis an die Rampe vorgetanzt haben, ist der ganze Schwung schon hin. So verpufft auch ihre gesungene, ironisierende Warnung (»… und unter dem Rock, krieg keinen Schock …«), zumal Tölles Choreografie einen entscheidenden Fehler macht: Sie gönnt dem geradezu nach Stepptanz schreienden Musical keinen einzigen Tap.
Aber dann geht es zum Glück ab in die von Bühnenbildnerin auf zwei Ebenen, phantasievoll gestaltete Villa unserer beiden Hauptdarsteller: dem »normalen« Homosexuellen George und seinem Lebenspartner Albin, dem Travestie-Star Zaza. Der trauten Zweisamkeit steht eine Bewährungsprobe ins Haus, als Georges Sohn Jean-Michel (allzu brav: Johannes Mayer), ein Fehltritt aus bi-sexuellen Zeiten, seine Verlobte Anne (etwas verhuscht: Alexandra Samouilidou) und deren Eltern (überzeugend: Armin Dillenberger, Ellen Kärcher) vorstellen möchte.
Denn Annes Vater ist ausgerechnet jener homophobe Politiker, der nach seiner Wahl den »Käfig voller Narren« schließen lassen will. Deshalb soll Jean-Michels leibliche Mutter bei diesem Treffen eine heile Familie vorgaukeln und Albin für eine Nacht ins Hotel ziehen. Doch Mama sagt kurzfristig ab – und Albin schlüpft in ihre Rolle.
Nun haben alle Gelegenheit, dem Affen Zucker zu geben, was vor allem Fausto Israel als George und Albins Butler Jacob (»Ich bin nicht der Butler, ich bin die Zofe!«), der die Rolle schon an mehreren Bühnen der Republik spielte. bis zum Exzess ausreizen. Den aus dem hauseigenen Opernensemble besetzten Hauptdarstellern merkt man allerdings an, dass sie im Musical nicht zu Hause sind. Dabei überzeugt Stephan Bootz (George) mit seiner warmen Stimme, wohingegen Alin Deleanu (Albin/Zaza) das Glamouröse eines Transvestie-Stars nicht einzulösen vermag.
So führt das zur Theaterhymne avancierte »Die schönste Zeit ist heut«-Finale unter der einfühlsamen Orchesterleitung von Paul-Johannes Kirschner doch nicht ganz zum erhofften Überschwang der Musical-Gefühle.