Vier Jahre hatte sich die Hamburger Band Blumfeld Zeit gelassen, bis sie 1999 ihr bis dahin drittes Album »Old Nobody« herausbrachte. Es war eine Zäsur in der Bandgeschichte: Die rauen Gitarren-Eskapaden der frühen Jahre verstummten, das betörend Drängende, die verzerrten Klanggewitter, die sich die Gruppe von Postpunk-Bands wie Gang Of Four oder Sonic Youth geborgt hatte. Mit »Old Nobody« trat etwas Neues in die Musik. Von nun an wollte man für mehr Menschen musizieren, für möglichst viele Menschen, am besten für alle Menschen dieser Welt.
Was danach kam, waren Alben mit viel Gefühl, Sehnen und Sehnsucht. Mit feinen Keyboard-Phrasen, mit Akustikgitarren, mit leise gestrichenem Schlagzeug, mit Anleihen beim Mainstream-Pop, bei Jazz und Schlager – vor allem aber waren sie voll von der entwaffnende Offenheit des Sängers Jochen Distelmeyer, der in seinen Texten stets bestrebt war, zum Kern des Lebens selbst vorzudringen.
Das ist bis heute so geblieben – heute, so viele Jahre nach der Auflösung von Blumfeld im Jahr 2007. Distelmeyer hat mit seinen nur zwei Soloalben »Heavy« und »Gefühlte Wahrheiten« da weiter gemacht, wo Blumfeld aufgehört haben: Er singt über Liebe und Glück, Verlust und Trauer, Freude und Wut, voller Klarheit und Intimität.
Sein jüngstes Soloalbum heißt »Gefühlte Wahrheiten« und entstand vor dem Hintergrund der Debatten um die Corona-Pandemie. In einer Zeit voller Unsicherheiten ist es ein Album darüber, wie es sich anfühlt, lebendig zu sein. Distelmeyer erzählt vom Sich-Verlieren und Wiederankommen, vom babylonischen Stimmengewirr der sozialen Medien, von Sehnsucht und Begierde, gesellschaftlicher Spaltung – und von der Liebe. Denn dass sie es ist, die am Ende triumphiert, daran besteht für ihn nie ein Zweifel. In der Centralstation ist er solo und akustisch zu erleben.