Der mächtige Vorhang fällt im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters nach knapp drei Stunden, Beifall brandet auf – zu früh, denn noch einmal tritt der Protagonist des Abends an die Rampe. Er hat seine Prospero-Perücke abgelegt und will als er selbst gesehen sein: Uwe Eric Laufenberg, Hauptdarsteller und Regisseur des nun zu Ende gehenden Stücks, jetzt aber wesentlich scheidender Intendant des Wiesbadener Hauses. Er wolle, sagt er im Epilog, auf dieser öden Insel sein Leben nicht verschwenden, und bricht zum stillen Vergnügen auch der Freudianer im Saal vor aller Augen den weißen Stab, mit dem er vorher gezaubert hat – und dirigiert.
Es ist durchaus so gewollt und deshalb nicht zu vermeiden, dass man Laufenbergs (Selbst-)Inszenierung von Shakespeares letztem Drama »Der Sturm« im Lichte seiner anstehenden Ablösung sieht. In die Figur des entmachteten Prospero seine Gefühle zu projizieren, hat für ihn gewiss auch von daher seinen Reiz, als dieser Geltungsbedürftige ganz darauf aus ist, Rache zu üben dafür, dass man ihn seines Herzogtums Mailand beraubte und samt Töchterlein Miranda auf eine einsame Insel vertrieb.
Zwölf Jahre sind seither vergangen, in denen er sich in einsamen Studien der Magie verschrieb, die nun zur Anwendung kommt. Und damit beginnt es auch, dass Prospero mit Unterstützung des Luftgeistes Ariel (Maria Wördemann) die Thronräuber um seinen machtversessenen Bruder Antonio (fantastisch sarkastisch: Michael Birnbaum) mit einer Havarie auf seinem Eiland stranden lässt. Grandios, wie unter dem entfesselten Dirigat des hier Karajan ähnelnden Weißhaarigen auf bühnenweiter Gaze zum infernalischen Bläsergetöse des Fliegenden Holländers im windgepeitschten Meer ein Schiff zu seinem Spielball wird und zu Bruche geht (tolles Video: Gérard Naziri). Eine den Atem raubende Ouvertüre und das optische Sahnetörtchen der Inszenierung. Es ist Miranda (Klara Wördemann), die es nicht aushält und den wütenden Rächer um Einhalt bittet.
Solche alle Sinne beeindruckende Szenen gibt es erst wieder im letzten Akt nach der Pause, wenn Prospero mit seinem Stab das intrigante Strandgut um seinen Bruder mit Techno-Musik in Schüttelkrämpfe stürzt, oder er selbst sich im Geistertanz inmitten eines wilden Rudels Jünger in Laufenberg-Masken windet.
Abseits dieser Spektakel erwartet die Besucher ein recht konventionelles, der klassischen Vorlage mit großem Personaleinsatz treu ergebenes Stück, dem zu folgen trotz der saloppen Sprache nicht immer mühelos bleibt. Wir freuen uns an der Liebe von Ferdinand (Lukas Schrenk) und Miranda, sind eher peinlich berührt als amüsiert über die homoerotischen Eskapaden des Clowns Trinculo (Paul Simon) und des trinkfreudigen Mundschenks Stephano (Philipp Steinheuser) und hätten den wunderbaren Matze Vogel, der nur mit Lendenschurz (Kostüme: Marianne Glittenburg) bekleidet das mitleidserregende Monster Caliban gibt, lieber in einer anderen Rolle gesehen. Passend routiniert besetzt ist das von Sebastian (Christian Klischat), Alonso (Benjamin Krämer-Jenster) und Gonzalo (Uwe Kraus) komplettierte üble Politquartett aus Prosperos Heimat. Eine schöne Idee gewiss auch, die Wördemann-Zwillinge auch zum Verwechseln ähnlich weiß zu kleiden. Gespielt wird in einer tempelartigen klassizistischen Halle (Rolf Glittenberg) mit Wüstenblick, in der – weil »Der Sturm« als Auftakt einer Letzte-Stücke-Trilogie gedacht ist – späterhin auch Mozarts Traumoper »Die Zauberflöte« und Verdis »Fallstaff« gezeigt werden sollen.
Dass William Shakespeare sein letztes Drama (1612) mit einer großen Versöhnungsgeste enden lässt, ficht den Stab brechenden Intendanten freilich augenscheinlich nicht weiter an. Insofern ist »Der Sturm« nach dem Auftakt »Das Ministerium« (Strandgut 10/2023) der zweite Teil einer Laufenbergiade, die fortgeschrieben zu werden droht. Sehens- und erlebenswert, mit Beigeschmack.