Kane-Festival: Sebastian Bolitz inszeniert »Gesäubert«

Die sanften, bluesigen Verse gleich zu Beginn geben schon einmal die Richtung vor. »If I was a woman and you were man« lässt ahnen, dass es ganz wesentlich um Identität gehen wird in »Gesäubert« (»Cleansed«) von Sarah Kane. Und des Weiteren um bedingungslose Liebe, für die man sich foltern, sich zerstümmeln oder gar das Leben lässt, um sie zu spüren. Klingt zwar ziemlich widersinnig, nimmt aber vieles, was gemeinhin so gilt in Sachen Liebe beim Wort.
»Gesäubert« ist Kanes nach einer zweijährigen Pause verfasstes drittes Stück und leitet im Zyklus ihres Werkquintetts eine radikale Abkehr von herkömmlichem Theater ein. Was Kane schildert, ist nicht mehr wirklich darstellbar, bildhaft vieldeutig und nur so in etwa in einen Erzählstrang gebunden. Ein Arzt, Anstaltsleiter oder vielleicht auch nur ein Irrer namens Tinker ist der Hauptakteur dieses Stücks. Er bestimmt, was hier geschieht. Initiiert und forciert die Suche nach den Grenzen der Liebes- und Leidensfähigkeit von fünf ihm ausgelieferten Menschen. Ein Sadist? Womöglich. Womöglich aber auch nur die Fiktion eines weiteren Sehnsüchtigen auf Kanes Figurentableau, – eines »Tüftlers«, wie ihn das Programm und sein sprechender Name bezeichnet, bedeutet to tinker doch basteln.
Regisseur Sebastian Bolitz taucht die von Hannah von Eiff mit fünf Handlungsinseln oder -stationen versehene Parkettbühne ins nebulös Schemenhafte und schafft es schon damit, das Publikum im (Halb-)Dunkeln zu lassen. Wie auch anders, wenn Tinker (Christoph Maasch) dem Junkie Graham (Marko Schmidt) gleich in der ersten Szene den Goldenen Schuss ins Auge setzt? Ein wörtlich zu nehmender Gnadenschuss, der sich erschließt, wenn wir in der gleich darauf Grahams Schwester Grace (!) kennen lernen, die sich, von einer bis an ihre Grenzen gehenden Marlene Zimmer atem-raubend verkörpert, bis zur Selbstaufgabe diesem Bruder verschreibt: Sie trägt Grahams Klamotten, erträumt sich mit ihm Sex und lässt sich am Ende ihrer Torturen per Genitaltransplantation zu diesem transformieren.
Vernichtet werden auf der Suche nach dem wahren Kern der Liebe auch das Schwulenpaar Carl (Ole Bechtold) und Rod (Eric Lenke) sowie, ein weiteres darstellerisches Highlight, der sehnsüchtig liebende Loser Robin (Andreas Jahncke). Sebastian Bolitz, von dem wir schon die Michael-Ende-Hommage »Being Pagat« und Garcia Lorcas Traumspiel »Sobald fünf Jahre vergehen« gesehen haben, bleibt seiner Präferenz für das Fluid-Phantastische gar nicht so weit entfernt wie ein solcher Hard-core-Stoff eigentlich vermuten lassen sollte, zumal Bolitz seine Umsetzung weitestgehend der Autorin folgt. Herausgekommen ist ein feinfühliger, aber am Ende doch resoluter Zugriff, der im Zusammenspiel von Licht, Sound und seiner Best-of-Freie-Szene-Besetzung Sarah Kanes Fragen im überraschenden Schlussbild eines Stilllebens umso transparenter macht. Vielleicht sogar den Titel. Aufwühlend und beeindruckend.

Winnie Geipert (Foto: © Niko Neuwirth)

Termin: 7. Februar, 19.15 Uhr
www.landungsbruecken.org
www.2021kane-innen.de

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