Das Staatstheater Wiesbaden zeigt »Kassandra«
Am Ende fährt der Tänzer (Andrea Schuler) des Darstellerquartetts in ruckartigen Bewegungen mit den bloßen Händen über die Kreideschriften auf den Wänden. Auch über die imaginierten an der imaginierten Wand zum Publikum. Wisch und weg. Die Unzulänglichkeit der Sprache ist das große Thema der Performance »Kassandra.Sehen« im Studiokerker des Wiesbadener Staatstheaters. Die noch studierende Regisseurin Ksenia Ravvina (HfMDK, Frankfurt), spürt mit Schuler und drei Schauspielern (Franziska Werner, Rajko Geith, Christian Kiesewetter) Christa Wolffs Erzählung von 1983 über die schwesterlich empfundene Seherin nach, deren Weissagungen vom Untergang Trojas, seiner Mauern und Türme, niemand hören wollte. In der DDR verstand man das sehr wohl.
In knapp zehn Szenen spielen die vier unter großer physischer Anstrengung diesen Kampf um die Sprache, sprechen und brechen Worte aus Sätzen wie Felsen aus Steinbrüchen, werden erdrückt von deren Gewicht, rennen stürzend, fallend bis zur Erschöpfung – es herrscht Krieg in Troja – dagegen an. Ungehört und ungehörig. Man wird nicht immer klug daraus, kann sich aber dem großen Spiel Franziska Werners nicht entziehen, die analog zu Valery Tscheplanova in Frankfurt so etwas wie die Künstlerin des Hausensembles ist. Zwei munter aufbereitete Erzählinseln über den Mythos Troja und seine Helden lockern die Schau spürbar auf. Es braucht diese Atempause aber auch.