Es gilt das gesprochene Wort. Deshalb ist vor allem anderen Hinhören angesagt beim Besuch der Inszenierung von Heinar Kipphardts Stück »In der Sache J. Robert Oppenheimer« im Kellertheater. Das 1964 zunächst als Hörspiel realisierte dokumentarische Schauspiel um die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft basiert ganz auf den Protokollen des 1954 angestrengten Verfahrens gegen den maßgeblich an der Entwicklung der Atombombe beteiligten amerikanischen Physiker.
Oppenheimers Weigerung an einer Wasserstoffbombe mitzuwirken, wurde in der Hochzeit der McCarthy-Ära von den US-amerikanischen Sicherheitsbehörden als Landes-, ja sogar »Gedankenverrat« sanktioniert, was ihm fortan jede Mitwirkung an Regierungsprojekten verwehrte. Und wie es sich nicht gehört, brachten die Ankläger dazu auch Oppenheimers Unterstützung der Linken im spanischen Bürgerkrieg und seine differenzierende Bewertung des zeitweiligen US-amerikanischen Bündnispartners Sowjetunion zur Sprache.
Regisseur Lars-Th. Heine hält seine Inszenierung noch näher am realen Geschehen als der Stückeverfasser selbst und hat alle künstlerisch motivierten Passagen Kipphardts gestrichen, insbesondere das von Oppenheimer persönlich monierte nie gehaltene Schlussplädoyer. Wer’s nicht kennt, wird es nicht vermissen: Die Konfrontation des von der Wucht und Absurdität der Vorwürfe konsternierten und durchaus verunsicherten Physikers (überzeugend: Christoph Moritz) mit seinen Anklägern und deren Zeugen entwickelt eine Dynamik, der man sich auch dann nur schwerlich entziehen könnte, gäbe es nicht erschreckendste aktuelle Bezüge.
Gleichwohl nicht viel passiert in diesem nolens volens handlungsarmen Stück und der Regisseur hat – im Gegensatz zu Christopher Nolans Film – auf stimmungsuntermalende Video-Einspielungen gänzlich verzichtet, gibt es doch reichlich zu sehen auf der als Manege konzipierten Kellerbühne. Eine schöne Idee: Der an den in Keilform aufgereihten Tischen platzierte Untersuchungsausschuss ist konterkarierend ausschließlich mit Frauen besetzt. Von der Vorsitzenden Gray (Johanna Pitsch), über die Ausschussmitglieder Evans (Doris Enders) und Morgan (Uta Frankenberg) bis hin zur scharfzüngigen Anwältin der Atomenergie-Kommission Robb (bestechend: Simone Woyke) und ihrer Mitarbeiterin Rolander (Anne-Roos Lieven). Keine Hosenrollen also, aber alle in Hosen und – mit einer Ausnahme – strengen, auf Business getrimmten Jacketts (Kostüme: Bianca Kunkel). Enders’ Evans allein weicht im rosa Kostüm-Jäckchen, dicker Perlenkette und guten Gründen davon ab. Sie versucht als einzige Wissenschaftlerin des Ausschusses, die Haltung des Beschuldigten zu verstehen – und hat schon von daher das Publikum emotional auf ihrer Seite.
Sonst aber beherrschen auch im Kellertheater Männer aller Couleur die Bühne: Oppenheimers bemühter Anwalt Garrison (Markus Hellinger), der pathologisch-rüde Geheimdienstoffizier Pash (in Haudrauf-Manier: Winfried Schwab-Posselt), der Atomenergie-Anwalt Lansdale (Lars-Th. Heine), der Oppenheimer beim Bau der H-Bombe beerbende Physiker Edward Teller (Michael Böttcher) und als einzig sympathische Figur dessen sachlich bleibender Fachkollege Hans Bethe (Sebastian Filipek).
Drei Wochen dauerte das Verhör des erst durch Kennedy rehabilitierten Wissenschaftlers, mehr als drei Stunden Kipphardts in der hr-Mediathek jederzeit nachzuhörende Fassung. Im Keller der Mainstraße wird das gelungene Ensemblestück in zwei fesselnden Stunden plus Pause in einer schlüssigen Inszenierung serviert. Ein fein gemachtes Begleitheft geht auf die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe des Atombombenbaus ein. Ein starker Blick zurück ins Heute.
Kellertheater zeigt Kipphardts »In der Sache J. Robert Oppenheimer«
