Variationen über ein gegebenes Thema sind in der Musikgeschichte überaus häufig, denn sie waren für viele Komponisten stets so etwas wie Fingerübungen. In der Renaissance tauchten sie schon auf, als Teil einer Sonate etwa. Antonio Salieri, Mozarts Lehrer, hat sich gar an 26 Variationen für Orchester über ein spanisches Thema versucht. Bei Beethoven durchziehen Thema und Variationen sein gesamtes Oevre – da gibt es u.a. Eroica- und die rahmensprengenden Diabelli-Variationen, die für Pianisten immer wieder mindestens so große Herausforderungen sind wie dessen Sonaten. Ravel´s »Bolero« gehört zu den sicherlich bekanntesten Werken dieser Art. Der Gipfel aber und Bezugspunkt einer unüberschaubaren Zahl ähnlicher Werke aller Komponisten-Generationen sind unbestritten die »Goldberg-Variationen« von Johann Sebastian Bach aus dem Jahre 1741. Genauer: seine »Clavier Ubung bestehend in einer ARIA mit verschiedenen Verænderungen vors Clavicimbal mit 2 Manualen« und »denen Liebhabern zur Gemüths-Ergetzung gefertigt«.
Die Alte Oper Frankfurt macht sich als Veranstalter zu Beginn der neuen Saison mit einem umfangreichen Musikfest auf die Suche nach den Goldbergvariationen und ihren Folgen.
Denn spätestens das historienumrankte Werk um eine zarte, durchsichtige (beim legendären Glenn Gould wie hingehauchte) »Aria«, die Erfindung eines ewig schlaflosen Grafen Goldberg, als Ausgangspunkt für 30 Variationen hat Johann Sebastian Bach den Ruf eines musikalischen Visionärs eingebracht (dabei sollten sie nur als Musik dem besseren gräflichen Schlaf dienen).
Fast alle Komponisten haben sich seither mit diesem pianistischen Kosmos auseinandergesetzt – in welcher Form, das wird in der Alten Oper und an anderen Orten erlebbar werden.
Das Original soll gleich dreimal erklingen: mit dem Bach-Exegeten Sir András Schiff (»die Goldberg-Variationen sind einer der Gipfelpunkte abendländischer Kunst«), mit Igor Levit (der später Beethovens weiterführende Diabelli-Variationen beisteuert), mit Andreas Staier auf einem historisierenden Cembalo und einer Version mit zwei Klavieren von Josef Rheinberger/Max Reger (Yaara Tal/Andreas Groethuysen). Ein »Quartett der Kritiker« stellt berühmte Aufnahmen des Werks zur Diskussion, eine israelische Ballettgruppe um Emanuel Gat bringt mit »Goldlandbergs« eine Hommage an das unvergessene und unerreichte Goldberg-Genie Glenn Gould (Frankfurt LAB). Kompositionsaufträge von Frederic Rzewski und Elena Mendoza, ein Gespräch über Thomas Bernhards »Untergeher als geniale Erfindung Glenn Goulds«, Künstlergespräche und ein Abend mit »Goldberg für alle« mit Sprecher und Instrumentalisten sind einige weitere Höhepunkte des Musikfestes, das einen schwergewichtigen Teil des September-Programms der Alten Oper ausmacht.
Der Minimalist John Cage lässt in seinen »Variations« das Publikum über das Gelingen der Aufführung mit entscheiden, der Pianist Pierre-Laurent Aimard steuert die »Vingt regards sur l´enfant-Jésus« von Olivier Messiaen bei, der preisgekrönte (immer noch) Jung-Jazzer Michael Wollny will sich gar an den Goldberg-»Tangenten« bewegen.
Und, fast wie nebenher, gibt’s ja in der Alten Oper noch das normale Programm.
Highlights, die ich (wertfrei) herausgreifen möchte:
Am 3./4. September trommelt und schlägt sich Martin Grubinger durch das Schlagzeuggewitter eines Konzerts des zeitgenössischen Österreichers Friedrich Cerha,
begleitet vom hr-Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefs Orozco-Estrada, der anschließend noch Mahlers »Titan« draufsetzt, die 1. Sinfonie (hoffentlich ohne Pause zwischen den Sätzen).
Martin Lücker, Organist der Katharinenkirche, setzt sich (bei freiem Eintritt!) am 24.9. im Kontext zu Bach mal für den völlig unterschätzten Ernst Krenek mit einer Orgelsonate ein, am 25.9. spielt er auf der Orgel des Großen Saals noch Frescobaldi, Ligeti und Bach.
Die hochmotivierte Junge Deutsche Philharmonie unter der Leitung seines neuen Chefs Jonathan Nott wird am 24.9. zu erleben sein: das Violakonzert der hoch angesehenen Sofia Gubaidulina (mit Antoine Tamestit) haben sie sich vorgenommen und Bruckners visionäre letzte Sinfonie.
Starke, vielversprechende Entrées – Herbst und Winter können kommen!