Kontrastreiches in den Opelvillen mit Esther Ferrer und José Ortiz Echagüe

José Ortiz Echagüe: Pescador Vasco, 1932, © VG Bild Kunst Bonn 2022

Die stets schöne Begleiterscheinung der Buchmesse: Das jeweilige Gastland bringt noch viele weitere Proben des künstlerischen Schaffens ins Gespräch und wagt sich dabei auch in hierzulande eher ungewürdigte Gefilde.
Allen voran die Opelvillen. Sie präsentieren zwei Künstler*innen gemeinsam in einer Ausstellung, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Esther Ferrer, 1937 in San Sebastian geboren, ist eine quicke Performancekünstlerin der ersten Stunde, die seit 1973 in Paris lebt. Sie hat sogar unter dem Franquismus arbeiten können, indem sie ihre legendären Auftritte mit der Performancegruppe ZAJ als Konzerte deklarierte, denn Konzerte unterlagen damals keinerlei Zensur. Die glühende Feministin, die Identitäten schon immer als gesellschaftlich konstruiert betrachtet hat und damit die Brücke schlägt zu den heutigen Identitätsdebatten, steht in der Tradition surrealer überbordender DaDa Kunst, wirbelt Denkmuster durcheinander; man fühlt sich da in lustvoller Gesellschaft von Luis Buñuel und Federico García Lorca.
Ganz anders der Fotograf José Ortiz Echagüe (1886-1980), der aus Guadalajara in Kastilien-La Mancha stammt, einer dieser prunkvollen, von einem Kastell überragten Städte der staubigen Mesetas der Landesmitte, die förmlich übersät ist mit wuchtigen mittelalterlichen Klöstern und Burgruinen. Sie bezeugen Spaniens – auch düsteren – Zauber, mit dem Schwert und dem Kreuz als ewig gültige Symbole.
Die Säle im Erdgeschoss sind Esther Ferrer gewidmet, und zunächst einmal kann man auf einem Stuhl Platz nehmen und sich von ihr erzählen lassen, was sie so antreibt: sie mag es minimalistisch und ein bisschen streng, sie liebt John Cage und sein Zufallsprinzip, und er liebte sie auch, lud sie sein, mit ihm zu arbeiten. Im Film sieht man sie bei einer koboldhaften Auto-Performance. »Das Leben ist absurd«, sagt sie, »aber ich verstehe es nicht. Vielleicht verstehe ich es, wenn ich etwas Absurdes hinzufüge?«. Im Mittelpunkt: der weibliche Körper und seine Zurichtungen und Definitionen im gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem ein alternder Frauenkörper nicht vorkommt. Und fix hat sie sich schon ausgezogen (im Film!) und vermisst ihre zierliche Statur mit einem Maßband. Das Vergehen der Zeit greift der darauf folgende Saal auf, in dem Ferrer eine Fotoserie mit einem Selbstbildnis präsentiert: zuerst ist da nur weißes Fotopapier, aus dem sich ganz allmählich ihr Porträt entwickelt, das dann aber erneut ins Weiß entschwindet – sehr poetisch ist das.
Für ihre Präsenz in den Opelvillen hat sie sich eine witzige Live-Performance ausgedacht, die im Film festgehalten wurde. 14 Personen nehmen im Minutentakt nacheinander auf Stühlen Platz und erzählen aus ihrem Leben. Die Episode ist frei gewählt, die Sprache ebenfalls. Zum guten Ende ist dann eine 14-stimmige Kakophonie aus den unterschiedlichsten Sprachen zu hören, unterschiedlich, und völlig gleich berechtigt.
Der Fotokünstler José Ortiz Echagüe ist für Esther Ferrer kein Unbekannter. In jedem spanischen Haushalt gab es früher Bildbände mit seinen Fotografien, erzählt sie. Er zeichnet in Schwarz-Weiß-Grau-Tönen das Bild eines mythischen, der Vergangenheit verhafteten Spaniens, welches vom Katholizismus und der überwältigenden Natur nahezu aufgezehrt wird. Und auch wenn die jüngsten Aufnahmen, die hier zu sehen sind, und aus dem Jahr 1965 stammen, glaubt man sie ins vorvergangene Jahrhundert datieren zu müssen.
Der SEAT-Gründer und erste spanische Pilot, der die Straße von Gibraltar überflog, Ingenieur, Techniker, von der beruflichen Laufbahn her der Moderne, dem Fortschritt zugewandt, erzeugt mit seiner Kunst eine hypnotische finstere Romantik, deren Ursprünge in Gemälden zu wurzeln scheinen – als eine künstlerische Inspirationsquelle hat man nicht zu Unrecht den Maler der Mönche Francisco Zubarán (1558–1646) ausgemacht. Echagüe hat die sehr aufwändige Technik des Kohledruckverfahrens bevorzugt und die Aufnahmen individuell bearbeitet. Die Sujets sind streng komponiert, die Achsen sorgfältig inszeniert, Licht und Schatten fein modelliert, nichts ist dem Zufall überlassen, doch sieht er sich nicht in der Tradition der Piktorialisten, die für diese Art der Bildbearbeitung bekannt wurden, sondern der Dokumentaristen. Die Themen entnahm er dem bäuerlichen, dörflichen Leben, den Riten, den Traditionen, der Arbeit. Die von ihm fotografierten Frauen sind oft in kostbar wirkende Trachten eingehüllt, so wie die Bildnisse der Jungfrau Maria bei den Osterprozessionen in ihre hohen Spitzenkragen; einzig eine frühe Aufnahme seiner Schwestern »Die Näharbeit« atmet etwas Duftiges, Leichtes. Arbeiter formt er wirkungsvoll als Helden, seine fotografischen Porträts von Mönchen haben Seltenheitswert. Es ist ein dunkles, oft karges Bild, das er von dem sonnendurchfluteten Spanien bewahrt, so als rettete er es vor den Wellen der Modernität, die nach dem Tod Francos im Jahr 1975 tatsächlich über das Land fluteten. Das pralle, bunte, laute, lebensvolle Aufblühen z.B. eines Pedro Almodóvar, z.B. einer Almudena Grandes, und natürlich auch einer Esther Ferrer haben hier vielleicht ihre Begründung, und ihren Grund?

Susanne Asal | Esther Ferrer: Manos Feministas 1977, © Esther Ferrer/VG Bild Kunst Bonn 2022
Ester Ferrer: »Ich werde von meinem Leben erzählen«
José Ortiz Echagüe: »Fotografien der Vergangenheit«
Bis zum 22.1.2023: Di.–Fr., 10–18 Uhr; Sa., 14–18 Uhr; So., 10–18 Uhr
www.opelvillen.de

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