Lesemarathon

Langer Tag der Bücher im SchauspielZum zehnten Mal: Frankfurts Langer Tag der Bücher im Schauspielhaus

»›Wer ist das?‹ fragte ich. ›Und warum sitzt er immer allein und hat uns den Rücken zugekehrt?‹ ›Oh,‹ wisperte die Frau Oberregierungsrat, ›er ist ein Baron.‹ Sie sah mich sehr feierlich an, und doch mit einem Hauch von Verachtung: einem Ausdruck, wie ›Nein, so etwas, das nicht gleich auf den ersten Blick erkannt zu haben!‹ ›Aber er kann ja nichts dafür, der arme Mensch‹, sagte ich.« Die Frau Oberregierungsrat fiel fast vom Stuhl.
Aber wer ist das wohl? Die Anderen und natürlich der Baron, der stammt nämlich aus den Erzählungen von Katharine Mansfield mit dem Titel »In einer deutschen Pension«. Erstmals 1911 in London erschienen, werden diese berühmten Kurzgeschichten, gestochen scharfe Nahaufnahmen deutscher Mentalität, jetzt in der Edition Büchergilde neu aufgelegt. (Keine Angst, die Autorin, vor genau neunzig Jahren gestorben, ist zum Glück nicht persönlich anwesend, was man, dem Programm folgend, leicht glauben könnte.) Ja, wer sind sie wohl, diese Gestalten, die am Sonntag, den 24. März zwischen 11 Uhr am Vormittag und 22 Uhr am Abend im Frankfurter Schauspielhaus präsentiert werden, tot oder lebendig. Henry Jaeger etwa, der berühmte Schwerverbrecher und Chef der einst berüchtigten Jaeger-Bande, der, selbst eine Legende, auch einen Roman hinterlassen hat, »Die Festung«. Oder Linas Onkel, die (tote) Hauptfigur in einem »Garten-Krimi« von Elsemarie Maletzke, oder, um ganz hochzugreifen, gleich zu Beginn, der »Basler« Nietzsche, also die von Ludger Lütkehaus und David Marc Hoffmann verantwortete neue »Basler Nietzsche Ausgabe«, eine »lesbare Fassung letzter Hand«.
S. Fischer, Schöffling & Co., Frankfurter Verlagsanstalt, Dielmann, Weissbooks usw. Elf Stunden, elf Frankfurter Verlage, elf Bücher, darunter auch einer meiner russischen Lieblinge Daniil Charms (Verlag der Autoren), von seinem (deutschen) Entdecker und Übersetzer Peter Urban präsentiert. Ein sehr langes, aber auch sehr buntes Programm im Chagall-Saal des Schauspiels. Freier Eintritt, die Möglichkeit, auch zwischendurch mal zu verschwinden, aber spätestens zu Charms, das ist Pflicht, um 19 Uhr wiederzukommen.

Martin Lüdke

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