»Mein ein, mein alles« von Maïwenn

Wie du mich willst

Zeit des Nachdenkens, Zeit der Rückschau: Nach einem schweren Skiunfall ist Tony (Emanuelle Bercot) ein physisches Wrack und muss in der Reha-Klinik langsam wieder aufgebaut werden. Dabei sind die äußeren Verletzungen ein Spiegelbild ihrer inneren Verwundungen nach der Trennung von ihrer großen Liebe Georgio (Vincent Cassel). Die erzwungene Tatenlosigkeit nutzt sie um die Trümmer ihres Lebens zu sortieren und die Stationen einer komplizierten Liebesgeschichte zu rekapitulieren. Während sich ihr Körper an den Trainingsgeräten langsam regeneriert, versucht sie zugleich Seelenfrieden zu finden.

Balancierend zwischen dokumentarischer Recherche und fiktiver Liebesgeschichte erforschte die Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn in ihrer letzten Regiearbeit »Poliezei« wie der harte Alltag in einer Pariser Polizeieinheit für jugendliche Straftäter auf das Privatleben der Polizisten übergreift. Auch in ihrem neuesten Films erzählt sie von einer zum Scheitern verurteilten Liebesgeschichte, und wieder nähert sie sich ihren Helden mit dokumentarischer Sensibilität, mit einer unruhigen Kamera, die die Gefühlsregungen seismografisch aufnimmt.
Die Hauptrolle hat sie dieses Mal nicht selbst übernommen, sondern ihrer Regie- und Schauspielkollegin Emanuelle Bercot übertragen. Um eine Amour fou soll es gehen, doch leider herrscht von Anfang an ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen der fragilen Blässe und Scheu von Tony und dem temperamentvoll kapriziösen Machismo von Vincent Cassels Georgio. »Wieso soll ich so sein, wie du mich willst?« fragt Georgio einmal, »denn als du mich haben wolltest, da wolltest Du mich genauso, wie ich bin.« Genau das ist nicht nur das Problem der gebeutelten Heldin, sondern auch des Films: Wie soll man die Tragik einer Trennung nachempfinden, wenn man von vornherein Mühe hat, an die Verbindung zu glauben.
Tonys König (Originaltitel: »Mon Roi«) ist ein aufregender, verführerischer und mitreißender Mann, dem Vincent Cassel sein magnetisches Charisma verleiht. Doch mit jeder Faser seiner schillernden Existenz schreit er heraus, dass ihm die Alltagstauglichkeit völlig fehlt, dass er nichts ist für eine Frau, die Sicherheit und Geborgenheit sucht, die das monotone  Gleichmaß dem hektischen Auf und Ab vorzieht.  Er hingegen flirtet mit der Idee der Hochzeit und des Kinderwunsches, nur um der drohenden Familienhölle schnell in eine kleine JunggeseIlenwohnung zu entfliehen. Die Frau wird zum Spielball ihrer frei fliegenden Gefühle mit hysterisch überspannten Ausbrüchen unter Alkoholeinfluss. Statt den Trümmern einer gelebten Beziehung bleibt nur eine Frau zurück, die zum kläglichen Opfer ihres eigenen Wankelmuts geworden ist.

Anke Sterneborg
EIN EIN, MEIN ALLES (Mon roi)
von Maïwenn, F 2015, 124 Min.
mit Emmanuelle Bercot, Vincent Cassel, Louis Garrel
Drama
Start: 24.03.2016

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