Museum Wiesbaden: August-Macke-Retrospektive »Paradies! Paradies!« in der Warteschleife

Er war ein Schüler, den nichts herkömmlich Schulisches interessierte, und der es deshalb auch bald sein ließ. Aber er war dabei von einer solchen positiven Lebensart, dass ihm niemand deshalb böse sein konnte und wollte. Nicht die Lehrer und auch nicht die Eltern. Sein Talent, seine Begabung hat ihn gleichwohl im Alter von 21 Jahren zum Mitgründer des Blauen Reiter gemacht. Ein hr-Beitrag hat August Macke sogar als eine Art Rockstar bezeichnet, wozu dann auch sein Tod im Alter von 27 Jahren passt. Eingezogen am Tag des Kriegsausbruchs, starb er nur sechs Wochen später an der Westfront in Frankreich. Ausgerechnet in dem Land, dessen Künstler ihn wohl am meisten beeinflussten. Aus jedem seiner Werke scheint dieses Amalgam aus Leidenschaft und dem tiefem Glauben, dass die Welt, in der wir leben, eine gute ist auszudrücken.
Dem nur zehn Jahre währenden intensiven und umfangreichen Schaffen August Mackes hat das Museum Wiesbaden jetzt die Ausstellung »Paradiese! Paradiese?« gewidmet. Es ist die zweite Macke-Schau in diesem Haus, die bewusst Bezug nimmt auf ihre Vorgängerin. Denn vor genau 100 Jahren erinnerte seine Frau Elisabeth Macke mit einer 190 Exponate starken »Gedächtnisausstellung« an den gefallenen Gatten. Exakt 16 der rund 80 Macke-Arbeiten, die das Museum Wiesbaden nun präsentiert, hingen hier, damals Neues Museum genannt, schon einmal aus. Damit zeigt die Schau zwar nur halb so viel Exponate wie damals, dafür ist sie aber die erste allein dem Künstler gewidmete seit über 50 Jahren in der Region, genauer: seit 1968 im Frankfurter Kunstverein.
Möglich wurde sie durch eine Kooperation mit dem Kunstmuseum Bonn, das im Gegenzug Werke des Wiesbadener Hausmeisters Alexej von Jawlensky zeigt – wie Macke ein Blauer Reiter der ersten Stunde. 20 Arbeiten seiner Weggefährten ergänzen die Auswahl. Besondere Aufmerksamkeit finden die Mitglieder des von Macke selbst so getauften »Rheinischen Expressionismus«. Nicht unerheblich trug auch der Kulturfonds Frankfurt RheinMain zum Gelingen bei.
Abgebildet wird der gesamte Schaffensprozess des in 1887 geborenen Expressionisten, der, in Köln aufgewachsen, über den Jugendstil in Düsseldorf zu den französischen Impressionisten fand und in Berlin bei Lovis Corinth studierte. 1911 am Tegernsee stieß Macke in den Kreis von Wassily Kandinsky und seines baldigen Freundes Franz Marc, mit dem er sich in Paris von Delaunay beeindrucken ließ, um über die Rückkehr nach Bonn dann im April 1914 zu seiner berühmten Reise mit Paul Klee nach Sidi Bou Said in Tunesien zu finden, wo er Licht und Farbe neu entdeckte – eines seiner Paradiese, die der Ausstellungstitel hinterfragt. Zwischen 1906 und 1914 entstand das auch in seiner Vielfalt beeindruckende Oeuvre, das Macke als Maler, Zeichner, Grafiker und Bildhauer vorstellt.
Die Wiesbadener Schau ist in fünf Kapitel unterteilt, denen zusammen mit einigen Vorarbeiten das 1914 vollendete Prunkstück des Parcours »Seiltänzer« vorangestellt wird: eine Jahrmarkszene, die auch im Bildaufbau vieles von der Faszination vermittelt, die später Beckmann teilte. Allerdings präsentiert Macke die Szene nicht als Spannungsakt, sondern in einer fast allen seinen Bildern innewohnenden Unaufgeregtheit. Im ersten Block »Familie und Freunde« ist seine frühe Freundin und spätere Frau Elisabeth dominant, mit der er vom 16. Lebensjahr an zusammen war und von der es gut 200 Arbeiten insgesamt gibt. Zumindest den sechs hier gezeigten gemein ist die zutiefst rührende Atmosphäre des Aufgehoben-Seins, betrachte man Elisabeth nun als Frau mit Hut, als Stickerin, als Mutter mit Kind oder auch als intimen Akt.
Im Kapitel Stadt/Landschaften finden sich die frühesten seiner Arbeiten hier, wie »Frau Wäsche legend« (1906) und das pointillistische »Am Rhein bei Hersel« (1908). Es folgen die Abteilungen »Vom Kunsthandwerk zur Abstraktion«, die neben hochdiffizilen Farbkompositionen auch einen Entwurf für eine Stickerei und Porzellantassen umfasst, und schließlich, und endlich »Paradiese«, wo sich im Großformat das expressionistische »Menschen auf der Brücke« entdecken lässt.
Die wohlig strahlende Harmonie von Mackes Bildern drückt in der Sicht von Wiesbadens Kurator Roman Zieglgänsberger die tief-verankerte positive Grundstimmung eines gleichwohl ernsthaften, aber selbstsicheren Künstlers aus. Eine künstlerische Grundierung, die aus Sicht des Experten Mackes Beschäftigung mit dem Jugendstil resultiert. Während sich sein Freund Franz Marc eine paradiesische Welt nur für das Tier habe vorstellen können, halte August Macke in seinem Optimismus immer am Menschen fest.
Ob diese Anmut und Heiterkeit sich über die Erfahrungen im Schützengraben hinaus bei Macke gehalten hätten, aber wird hier bezweifelt. Der Gasmasken-Zeichnung von Otto Dix hätte es aber nicht unbedingt bedurft, zumal sich der Kurator sicher ist, dass Macke eine eigene Antwort fern der Neuen Sachlichkeit gefunden hätte. Fraglos aber ist »Paradies! Paradies?« das passende Angebot für die unruhige Zeit, in der wir leben. Fast schon fahrlässig, dem Publikum so viel Optimismus vorzuenthalten. Ein tolles Weihnachtsgeschenk ist der großartige Katalog auf jeden Fall.

Lorenz Gatt (Foto: August Macke: Paradies! Paradies! Spaziergang Brücke, 1913, Foto: Wolfgang Fuhrmanne)

Bis 14. Februar: Di., Do., 10–20 Uhr; Mi., Fr., 10–17 Uhr; Sa., So., 10–18 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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