Nomen est (numquam) omen

Es begann Mitte der 1970er Jahre in der JWG-Uni. Da gabs im Studentenhaus über dem Festsaal einen Vorführraum. In dem standen 2 wunderschöne, relativ neue Bauer B12 Projektoren für 35-mm Filme, rechtsseitig zu bedienen. Ein Filmclub zeigte damit im spärlich gefülltem Festsaal (in dem schon Horckheimer und Adorno getanzt haben) esoterische Film wie »Die Satansweiber von Tittfield«, Höhepunkt der vermutlich weltweit ersten Russ-Meyer-Retro, als Hommage an den Begründer einer Nouvelle Vague, deren Inhalt unzweideutig auf den Paramount von Titten zurückzuführen ist, je größer desto besser.
Trotz dessen emanzipatorischen Gehaltes wollte keiner Russ Meyer sehen und der AStA, dessen Mitglied ich damals war, den Laden der Verluste wegen schließen.
Ich kann es nicht leiden, wenn was zugrunde geht oder Kapazitäten nicht genutzt werden, womit ich eher die B12 Projektoren meine, denn die Titten. Ich trommelte flugs ein paar Leute zusammen, wir gründeten den Verein pupille e.V. und machten (mit Unterstützung von AStA und Hilmar Hoffmann) ein eigensinniges Kino mit einem Programm, das im permanenten Streit untereinander und im Gespräch mit dem Publikum entstand – und auf Anhieb Erfolg hatte. Medium des Gesprächs mit dem Publikum war eine Programmzeitschrift namens pupille.
1977, nach unseren Examen, übernahmen wir ein Pornokino namens Harmonie in der Dreieichstraße. Wir schmissen auch hier als erstes die Titten raus (nichts gegen Titten nebenbei) und produzierten nach bewährtem Muster ein Programm im Streit und im Gespräch mit dem Publikum. Medium war eine Programmzeitschrift, die wir einfallsreich Harmonie nannten. Etwas später erweiterten wir unser wachsendes Unternehmen um das Olympia-Kino in Neu-Isenburg, es ist mittlerweile Teil des Olymps. Aus dem Medium Harmonie wurde überraschenderweise die Programmzeitschrift Harmonie-Olympia. Nachdem es uns gelang, zur gegenseitigen Kostenersparnis, andere Veranstalter als Kunden zu beteiligen, wurde das Medium strandfilm genannt (Unter dem Pflaster ein Film). Zumal wir dann auch Live-Veranstaltungen machten mit – unter anderem der Frankfurter Barrelhouse Jazz Band, Django Edwards und Gruppen wie Münchener Freiheit und Erste Allgemeine Verunsicherung, Namen wie ein Paukenschlag.
1979 bekamen wir den Deutschen Filmpreis für ein herausragendes Programm. Die Preisverleihung war in Bonn auf einem Boot, wo ich von hämischen Kinobesitzer-Kollegen begrüßt wurde mit dem Spruch »Da kommt ja das Strandgut aus Frankfurt«, weswegen das Medium nun einfallsreich und vielleicht ein bisschen trotzig Strandgut genannt wurde. Danke euch Kollegen, so es euch noch gibt.
Dazu eröffneten wir bald ein Kaffeehaus namens Golowin, das zur Schlüsselübergabestelle für alle Taxifahrer Frankfurts wurde – sowohl von der 01 wie auch der verfeindeten 33 – sowie aller Künstler rund um Städel und HfG, Sachsenhausen und Offenbach. Der Name Golowin brachte den schweizer Esoteriker Sergius Golowin auf die Idee, das Kaffeehaus sei nach ihm benannt, weswegen er dort unbedingt Lesen wollte – es ging bei ihm wohl um noch Höheres als Titten, und wir haben uns breit schlagen lassen. Obwohl ihn keiner kannte. »Meinungsfreiheit halt, könnt’ ihr euch Scheibe von abschneiden« – würde Simon Brenner dazu sagen, aber klar: Brenner ist Österreicher, die haben das geübt, kuk und so …
Tatsächlich war das Kaffeehaus nach Friedrich Gulda benannt, der als Albert Golowin eine Platte besungen hatte, unter anderem mit dem Titel »Donau so blue«, wozu er den Spruch wienerte »A bissel intellektueeel muss’ halt’ scho sei’«.
Aus dem Streit ums Programm wurde irgendwann ein Streit um – nun ja, das übliche – Geld und Verdienst, Frausein und Mannsein, Krieg und Frieden – was natürlich Auswirkungen aufs Programm hatte. Wenn man damals als Kinobesitzer Geld brauchte, musste man nur »Blues Brothers« oder »Rocky Horror Picture Show« spielen. (Wir waren übrigens die Entdecker des Films, der von Frankfurt aus seinen Siegeszug durch die Republik antrat. Es gibt quasi niemanden, der das Ding nicht kennt – und es war zudem der Start der Karriere von Susan Sarandon, Tim Curry und Barry Bostwick, der als Bürgermeister in der großartigen TV-Serie »Spin City« weltberühmt wurde.)
Die Mitarbeiter (und wir waren ja alle Mitarbeiter) wollten, auch weil das Publikum durchdrehte und tonnenweise Reis durch die Luft schmiss und mit Feuerzeugen und Wunderkerzen herumräucherte, nicht mehr deren Dreck wegmachen – und die Musik der Blues Brothers ist ja sehr schön, aber bitte doch nicht andauernd.
Als Mitarbeiter standen uns selbstverständlich permanente Lohnerhöhungen zu, denn »wir waren es ja wert«, wie verdi-Brother Bsirske dazu singen würden. Leider waren wir aber auch ein Kollektiv und als solche Unternehmer. Und als Unternehmer hätten wir eben noch ein paar Mal mehr »Rocky Horror« und »Blues Brothers« spielen müssen als es uns als Mitarbeiter und empfindsame Kinogänger lieb war. Im Falle von Lohnerhöhungen hätten wir zudem Teile unseres Verdienstes als Kapital reinvestieren müssen. Hätte das geklappt, wären das alles womöglich blühende Landschaften geworden, ein vertikal strukturiertes Groß-Unternehmen, nicht nur von einer Branche abhängig, von Enthusiasmus und Lebensfreude getragen. Der deutsche Film hätte profitiert, die EU hätte sich ein Scheibchen von uns abschneiden können. So ist es nicht gekommen, vieles ist vom Winde verweht, geschlossen und verkauft – und die EU immer noch in einem beklagenswerten Zustand – vom deutschen Film ganz zu schweigen. Euro meets Toni Erdmann.
Strandgut wurde 1980 in eine eigene GmbH ausgegründet (mit Hilfe der Familie Winter, Kinobesitzer aus Lohr). Es ist wunderbarerweise geblieben.
Was vermutlich niemand für möglich gehalten hätte. Nicht mal ich.
Strandgut lebt – und es ist immer noch ein Medium für das Gespräch mit dem Publikum, mit Veranstaltern, Schriftstellern, Theatermachern, Kritikern und Grantlern aller Klassen.
Und das Motto von Friedrich Gulda »A bisserl intellektueeel muss’ halt’ scho sei’« – es gilt immer noch.

Alle die dabei waren, erinnern sich vielleicht, wie sich in den vergangenen 40 Jahren (nicht nur) die Herstellung von Zeitschriften revolutioniert hat. Wir waren bei allem dabei und manchmal vorne dran. Nach dem Bleisatz (vor unserer Zeit) kam der Satz per IBM 82 Composer, zunächst beim Pflasterstrand, später hatten wir einen eigenen. Nach einem Zwischenspiel bei Olivetti, kam der Linotype Lichtsatz bei Caro Druck, wo ausbelichtet wurde, was vorher am PC eingegeben worden war. Die derart entstandenen Satzfahnen wurden jeweils auf 45mm Spaltenbreite beschnitten und mit Fixogum auf Umbruchkartons geklebt. Die Headlines wurden per Letraset gerubbelt und drüber geklebt. Gerasterte Fotos (von einer Reprofirma extern hergestellt) wurden eingefügt. Das wurde dann von einer Reprokamera fotografiert. Dabei entstand ein Film, der retuschiert auf Druckplatten übertragen in die Druckmaschine eingespannt wurde.
Dann kam die PC & Apple Revolution mit Aldus PageMaker, Quark Xpress und dem Büro-Scanner, der es ermöglichte, Fotos selbst zu rastern und ganze Seiten auf immer größer werdenden Bildschirmen zu montieren. Was nebenbei den Untergang der Repro- und Satzindustrie zur Folge hatte.
Viele Jahre benötigten wir für die technische Produktion einer Strandgut-Ausgabe eine Woche (incl. Anlieferung). Heute übertragen wir die einzelnen Seiten als PDF elektronisch am Abend an die Druckerei. Am nächsten Morgen liegt das Heft bereits gedruckt, gebunden und verpackt vor unserer Tür.
Opfer derselben Revolution waren auch der 35-mm Film, der Steenbeck Schneidetisch und meine heißgeliebten Bauer B12 Maschinen in den Vorführräumen dieser Welt. Überall steht da nun ein Server, in dem ein DCP (ein Digital Cinema Package) auf einer Festplatte gespeichert ist und per Beamer auf eine Leinwand geworfen wird, man für 12 Kinos nur noch einen Vorführer braucht, der nebenher Eintrittskarten und Getränke verkauft.
Doch manchmal, in einem alten Kino, bei einem Festival, erlebt man es: der Vorhang über einer Leinwand geht zum richtigen Zeitpunkt auf. Die Titel laufen, wenn es im Saal gerade dunkel geworden ist, und plötzlich beginnt die Leinwand zu strahlen – ein richtiger Film, auf 35-mm, vielleicht in Technicolor und Cinemascope – man ist plötzlich glücklich, könnt’ im Regen singen – und dies ist nicht allein der alten Technik geschuldet.

Strandgut lebt zudem auch unabhängig von mir, seinem spiritus rector, der zwar noch als Herausgeber fungiert, während das Heft selbst längst von anderen produziert wird.

Ich wünsche dem Blatt und allen Beteiligten, seinen Kunden und Lesern, Publikum und Freunden zum 500. Heft in seinem 40. Lebensjahr alles Gute.

Kurt Otterbacher

Foto: Kurt Otterbacher (re.) nimmt 1980 den Deutschen Filmpreis entgegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert