»Online für Anfänger« von Benoît Delépine und Gustave Kervern

Das war schon lange fällig. Ein Film, der sich über unsere Internet-Welt lustig macht. Über eine Welt, in der man sich, wenn man Informationen braucht, etwas erwerben oder verkaufen will, den Tech-Giganten hilflos ausgeliefert sieht. Eine Welt, in der dank sozialer Medien auch das Privateste mit allen und jedem geteilt wird.

Natürlich gehört auch eine Menge Naivität dazu, wenn man sich dermaßen, wie in »Online für Anfänger« geschildert, von den sozialen Medien überfahren lässt. Da muss Marie (Blanche Gardin) befürchten, dass ihr Sohn bald ein Sextape seiner Mutter im Internet sehen wird. Jetzt braucht sie dringend Geld, um einen Erpresser abzuwehren.
Dabei steckt Marie in finanziellen Schwierigkeiten, seit sie vom Ehemann getrennt lebt. Um ihre Geldnot zu lindern, versucht sie einen Teil ihres Mobiliars im Internet zu verkaufen. Mit den üblichen Schwierigkeiten natürlich.
Marie ist ohnehin ein Fall für sich. Ihr geht alles schief, was nur irgendwie schiefgehen kann. Figuren wie sie kennen wir aus aus amerikanischen Filmkomödien von Laurel & Hardy bis »Dumm und dümmer«. Nur, dass sich Maries Missgeschicke ebenso aus ihrer Schusseligkeit wie auch aus den modernen Widrigkeiten ergeben.
Wenigstens kann sie bei ihrem Nachbarn Bertrand (Denis Podalydès) ihr Herz ausschütten, der, um es einmal vorsichtig zu sagen, auch keine gute Figur in der heutigen »Dienstleistungswelt« macht. Er kann dem Charme einer Callcenter-Verkäuferin nicht widerstehen und versucht ständig, sie kennenzulernen. Natürlich fällt es ihm unter diesen Voraussetzungen schwer, auch völlig sinnfreie Sonderangebote, die von der sympathischen Stimme vorgetragen werden, abzulehnen.
Die befreundete Christine (Corinne Masiero) hat durch übermäßigen Serien-Konsum ihren Job verloren und schlägt sich jetzt als freundliche Uber-Fahrerin durch. Sie kämpft gegen ihre Internet-Bewertungen, bekommt sie doch trotz aller Bemühungen stets nur einen Stern. In ihrer Verzweiflung sucht sie den Kontakt zu einer indischen Agentur für Fake-Bewertungen.
»Online für Anfänger« spielt in einem kleinen Städtchen nördlich von Paris, wo die Einheimischen mehr zusammenhalten als in der Metropole und die Anforderungen der allgemeinen Einsparungen die Menschen härter treffen. Wenn hier eine Postfiliale schließt, ist der nächste Ort, an dem eine Sendung abzuholen ist, um etliche Kilometer entfernt.
Der Film überspitzt in Komödienmanier, ist bisweilen sogar auch albern, entfernt sich jedoch niemals weit von der Realität. Egal, ob man eine Institution anruft und in einer endlosen Warteschleife landet oder ob man in einem Bürotrakt nur noch einen Praktikanten begegnet, der nicht helfen kann und sich zum Abschied auch noch bedankt, dass man sich für die entsprechende Firma entschieden hat. Die Welt wird zu einem Irrenhaus, in dem Künstliche Intelligenz die Leitung übernommen hat. Kein Wunder, dass ein Selbstmordkandidat (Michel Houellebecq in einem Gastauftritt) in einem konventionell-analogen Laden als Kunde auftaucht.
Dass die beiden französischen Filmemacher Benoît Delépine und Gustave Kervern genau den Humor besitzen, den man für »Online für Anfänger« braucht, haben sie in neun vorherigen Filmen (u.a. »Mammuth«, »Der Tag wird kommen«) bewiesen. Bei der Berlinale 2020, dem letzten Filmfestival, das vor dem Corona Lockdown unter normalen Bedingungen stattfand, haben sie Zusammenarbeit als Spezialpreis der Jury den Silbernen Bären für das Ergebnis ihrer zehnten gewonnen. Das lief seinerzeit unter dem Titel »Delete History«, was dem Wunsch der Protagonisten entspricht, zu löschen, was sie bedroht.
Deshalb brechen sie, die sich bei den Gelbwesten kennengelernt haben und den Geist der Revolte in sich tragen, auf zu Rechenzentren und Call Center in fernen Ländern. Aber auch dort herrscht längst die Künstliche Intelligenz.

Claus Wecker (Foto: © x-Verleih)
ONLINE FÜR ANFÄNGER
(Effacer l‘historique)
von Benoît Delépine u. Gustave Kervern, F/B 2020, 112 Min.
mit Blanche Gardin, Denis Podalyès, Corinne Masiero, Vincent Lacoste, Bouli Lanners
Tragikomödie
Start: 28.10.2021

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