Süß, die Versuchung – bitter, der Beigeschmack
Unglaublich, diese Schweizer. Da mag man noch so sehr darauf pochen, dass der Kakao aus Südamerika kommt, wo Mayas und Azteken den doch ziemlich bitteren Chocolatl-Extrakt zu schlürfen pflegten. Und doch fallen uns zu Schokolade weit eher die schneebedeckten Gipfel der Schweizer Milka-Alpen ein. Oder der das große Matterhorn symbolisierende Zacken aus dem Toblerone-Riegel. Kein Wunder eigentlich: Sie haben’s 1875 mit einer Mischung aus Milch erfunden.
Ob die Sommerausstellung des Frankfurter Palmengartens »Cacao« an diesen Assoziationen sehr viel ändern wird? In der umfassenden Aufbereitung der »Geschichte eines Welterfolgs« fallen die Werbung und die vielen Schweizer Marken – von Suchard über Tobler und Nestlé bis hin zu Lindt und Sprüngli – durchaus auf. Interessant in diesem Kontext: Bis in die 50er hinein hat man Schokolade gerne mit Bildern von Fabrikanlagen und rauchenden Schloten versehen, weil sie für Gesundheit und Fortschritt stand.
Erfahren kann man in der Galerie West des Palmengartens aber auch, dass die Schweizer pro Kopf und Jahr 10,36 Kilogramm Schokolade verzehren und damit die Deutschen um mehr als ein Pfund übertreffen. Übersetzt in Tafeln, scheint die im ersten Moment erschreckende Zahl gar nicht mehr so verwunderlich, läuft sie doch auf grad mal eine Rittersport alle drei Tage und zwischendurch ein Duplo oder Nutella-Brot hinaus. Selbst, wenn der Verbrauch den Nullverzehr von Babys, Allergikern, Diabetikern und jener seltenen Spezies miteinbezieht, der Schokolade einfach nicht schmeckt, verblüfft doch eher die Zurückhaltung am anderen Ende des europäischen Schoko-Rankings. Der gemeine Italiener etwa kommt trotz Ferrero mit weniger als drei Kilo aus.
Dass hier ein etwas schräges Bild der Ausstellung aufkommen mag, ist allein dem selektiven Interesse des Chronisten am Rohstoff des süßen Lebens geschuldet. Andere hätten gewiss vom Anbau und der Zucht, von der Geschichte der Pflanze berichtet, vom halben Dutzend dieser zwei bis fünf Meter hohen eingetopften Exemplare. Von der religiösen Verehrung der Pflanze bei den Azteken, vom Luxusprodukt des Adels, der Demokratisierung des Genusses im vorigen Jahrhundert, von den neuesten Rezepturen, geht doch der Trend, wie bei den Drinks zum exotischen Mix. Von den Bohnen schließlich in den unterschiedlichen Stadien ihrer Fertigung, fermentiert, geröstet, zerrieben, von den Kakaosäcken, den Verpackungen und den Probierschalen auf diesem überaus lehrreichen von Schautafeln gesäumten Parcours.
Auch die bitteren Seiten der süßen Versuchung werden im Palmengarten aufgedeckt. Dazu zählt die Kinderarbeit in den Anbaugebieten oder die Ausbeutung der Produzenten. Die riegelweise aufklappbare Riesentafel aus Plastik verrät, dass nur ein paar Rippchen den Kakaobauern zufließen. Selbstredend plädiert die Sommerschau für den fairen Handel – Probieren und Kaufen zu zartbitteren Preisen inklusive. Für Kinder gibt es eine Kino-Ecke mit einschlägigen Filmen aus der »Sendung mit der Maus«.
Lorenz Gatt
Bis 20. September 2015: täglich 9 – 18 Uhr
www.palmengarten.de